Die beiden Vorgänger von Gas Powered Games sind Kult, auch wenn sie mich persönlich nicht durchweg begeistern konnten, aber die Fangemeinde ist riesig und die Erwartungen an den Nachfolger und an Obsidian entsprechend groß. Wenn Obsidian eins kann, dann Nachfolger fremder Spieleserien zu programmieren, aber diese sind meist auch mit extrem vielen und schweren Bugs verseucht. Ob sich die Geschichte auch beim dritten Ausflug nach Ehb wiederholt?
Wir waren Legion
Zeitlich spinnt Dungeon Siege III (DS3) die Geschichte der Vorgänger weiter, beschäftigt sich aber viel mit der grauen Vorzeit. Die Hauptrolle spielt dabei die 10. Legion, die bei der Gründung Ehbs eine tragende Rolle spielte und der der Spielercharakter angehört. Viele von damals sind nicht mehr übrig und die wenigen Mitglieder werden von der rachsüchtigen Jayne Kassynder gejagt, da die Legion den damaligen König getötet haben soll, was ihnen Jayne sehr übel nimmt. Dieser Lüge müssen wir uns natürlich entschlossen entgegenstellen, doch es gibt noch mehr Fragen aus der Vergangenheit zu beantworten, die über das Schicksal der 10. Legion entscheiden. Vor allem Kenner des Dungeon Siege-Universums kommen auf ihre Kosten, denn das Spiel strotzt nur so vor Anspielungen. Ob wir nun in Büchern vom (offiziell weiblichen) Helden Farmer des ersten Teils lesen, in der Gruft der Helden die Grabsteine von Merik und anderen ehemaligen Helden besuchen oder im Laufe des Abenteuers an bekannte Orte wie die Glitterdelve Mine zurückkehren – man kommt nicht umhin, etwas in Nostalgie zu schwelgen. Doch auch der DS3-Neuling wird nicht ausgeschlossen, zumindest nicht wenn er bereit ist, ein paar Zeilen zu lesen, denn alles wird Ingame sehr gut erläutert. Die gefundenen Texte können auch jederzeit über einen Punkt im Menü nachgeschlagen werden.
Kommt nur her ihr Banditen!
Frisches Blut braucht das Land…
Was jedem Veteranen sofort auffällt und nicht selten schon im Vorfeld kritisiert wurde, sind die vier spielbaren Charakterklassen mit jeweils acht Fähigkeiten und einer Heilungskraft, die jede Klasse besitzt. Eine komplett freie Charakterentwicklung wie in den Vorgängern gibt es nicht mehr, ebenso wenig wie frei benutzbare Items, denn jeder Charakter benutzt eigene Rüstungen und Waffen, so dass es nur noch klassengebundene Items gibt. Also keine zweihänderschwingenden Magier in schwerer Plattenrüstung mehr. Die Charakterklassen spielen sich dabei dank zweier wechselbarer Kampfmodi angenehm unterschiedlich und decken jeweils verschiedene Rollen ab. Während Lucas der wohlbekannte Ritter mit schwerer Rüstung, Schwert und Schild und Zweihänder ist, wie er in jedem Spiel dieser Art vorkommt, ist Katarina eine Hexe, die zwischen Gewehr und Pistolen wechselt und ihre Munition mit Flüchen versieht. Auch durch die Monsterwelt weht frischer Wind, der nicht viel vom altbekannten Personal wie den Krugs übriglässt, sondern sehr viele neue Gegner und damit Abwechslung ins Spiel bringt. Gleiches gilt nur bedingt für die Quests: Während die Story glücklicherweise nicht die tausendste Variation des üblichen „Rette die Welt“-Themas ist, sondern durchaus mit der ein oder anderen Wendung zu unterhalten weiß (und sich je nach gespieltem Charakter auch ein wenig in einzelnen Details ändert), leiden die Nebenquests an einfallslosen Aufgaben, die zwar oft von einer guten Geschichte aufgefangen werden, aber nicht immer über das übliche „Gehe nach A und hol mir bzw. töte B“ hinwegtäuschen können.
Komplett neu hingegen ist das Level-System. Bei jedem Stufenanstieg darf ich verschiedene Punkte verteilen, allerdings nicht auf Charakterwerte, sondern auf diverse Aspekte meiner Fähigkeiten. Auf dem Weg zum Level Cap von 30 erlernt mein Charakter neun Fähigkeiten, die er jeweils fünfmal durch passive Boni verbessern kann, allerdings gibt es nicht genug Punkte, um alle auszubauen, also ist ein wenig Spezialisierung gefragt. Dazu gibt es noch zehn passive Fähigkeiten (wieder in fünf Stufen), die verschiedene Aspekte wie Heilung, kritische Treffer oder die Beschaffung von Fokuspunkten verbessert, die zur Ausführung der aktiven Skills benötigt werden. Das ist zuerst ungewohnt und scheinbar unnötig kompliziert, doch die Ingame-Hilfe erklärt alles Mechanismen sehr kurz und dennoch gut.
Wieviel Strom die Beleuchtung der Höhle kostet?
Taktiker gesucht
Die Levels sind zwar linear, aber abwechslungsreich, teilweise recht groß und vor allem ohne Ladepausen. Geboten werden natürlich jede Menge Gegner und Kisten, die Geld, Items oder kleine Kugeln enthalten, die Lebenspunkte oder Fokus auffüllen, denn die klassischen Tränke gibt es bei Dungeon Siege III nicht, was das Spiel viel schneller macht und vor allem das Inventarmanagement verschlankt. Apropos Menüs: Der PC-Spieler wird sie als zu sperrig empfinden, aber eigentlich sind sie gut an die Controller-Steuerung angepasst. Zumal die am häufigsten besuchten Menüs wie Inventar und das Questlog auch direkt über das Steuerkreuz erreicht werden können, so dass das volle Menü nur selten zum Einsatz kommt. Bei den stärkeren Zwischengegnern und den Bossen ist vor allem Taktik gefragt, denn stehenbleiben und mit der dicksten Waffe auf den Boss einzuschlagen führt selbst auf dem leichtesten Schwierigkeitsgrad immer zum Tod. Hier muss geschickt mit der Ausweichrolle, den Fähigkeiten der beiden Kampfmodi und der Heilungsfähigkeit hantiert werden. So bleiben die Gefechte stets dynamisch, da ich zur Bewegung gezwungen werde. Ein Glück funktioniert das automatische Zielsystem gut und hat nur wenige Aussetzer. Hingegen sind Standardgegner, die so gut wie immer in Gruppen auftreten, schnell leichte Beute, wenn man nicht in den höchsten Schwierigkeitsgraden unterwegs ist. Ein wenig Voraussicht ist auch bei den Entscheidungen gefragt, die der Spieler immer wieder treffen muss. Einige davon haben sofortige Auswirkungen, oft in Form von Einfluss, den man über seine Gefährten gewinnt und Boni freischaltet. Andere haben erst später einen echten Effekt, die meisten davon in Form von kleinen Sequenzen bei Spielende, wie man es beispielsweise von der Fallout-Reihe kennt (bei der Obsidian ja auch mitgewirkt hat).
Offline hui, Online pfui
Der mit Abstand größte Kritikpunkt ist aber der Mehrspielermodus von DS3. Was sich die Designer dabei gedacht haben, ist mir ein Rätsel. Der Offline-Coop ist dabei noch so, wie man es von Spielen dieser Art gewohnt ist. Der zweite Spieler übernimmt den Part des KI-Gefährten und beide spielen gemeinsam die Story durch. Online hingegen liegen alle Vorteile beim Host der Partie. Storyfortschritt, Charakterentwicklung, Erfahrungspunkte, Items – alles wird nur im Spiel des Hosts gespeichert. Alle anderen Spieler nehmen lediglich teil und übernehmen die bis zu drei anderen Mistreiter, was übrigens die einzige Möglichkeit ist, mit allen Akteuren gleichzeitig unterwegs zu sein. Sofern ich also immer mit dem gleichen Host unterwegs bin, ist alles wie im Offline-Coop, sobald die Hosts aber wechseln, fühle ich mich wie ein Sklave, denn ich habe davon nichts – von ein paar Trophäen einmal abgesehen. Erschwerend hinzu kommt der viel zu kleine Kameraausschnitt, so dass gerade bei vier Spielern leicht ein unübersichtliches Chaos entsteht. Damit einhergehend schmerzt auch das Fehlen eines Splitscreens, denn wenn ein Charakter zu weit hinter dem Host zurückfällt, geht es einfach nicht mehr weiter. Die Online-Integration ist dabei gut gelungen. Will ich einfach in ein anderes Spiel einsteigen, wähle ich den Punkt im Hauptmenü an und kann entweder zufällig irgendwo teilnehmen oder in einem Browser mir ein bestimmtes Spiel aussuchen. Als Host starte ich einfach ein neues Spiel bzw. lade einen Spielstand, gehe ins Pause-Menü und öffne mein Spiel für die Allgemeinheit oder lade Freunde ein.
Jetzt gibt's gleich was auf die Mütze!
Oh Du mein schönes Ehb?
Grafisch setzt Obsidian jedenfalls seine Tradition fort: solide, ansehnlich, aber kein Überflieger. Ehb wirkt lebendig, doch wenn in den Dialogen ganz nahe an die Charaktere herangezoomt wird, zeigen sich Risse in der Fassade, vor allem bei der Mimik. Die Landschaft hingegen ist hübscher, aber wenig dynamisch. Ansehnlich sind auch die Effekte der verschiedenen Fähigkeiten, die dabei noch so ressourcenschonend sind, dass es nur in extrem seltenen Fällen zu Leistungseinbrüchen kommt. Ich hatte in einem Durchlauf, der mit allen Nebenquests gute 13,5 Stunden dauerte, nur zweimal mit einem kurzen Ruckler zu kämpfen. Dennoch erreicht die visuelle Gesamtqualität keine neuen Höhen. Der Sound ist im Übrigen wie die Grafik: Vorzeigbar, reißt aber niemanden zu Freudenliedern hin.
Die Steuerung ist eingängig und logisch designt, geht schnell von der Hand und zickt nicht rum. Sogar die Kamera macht einen guten Job und dreht in engen Räumen nur selten durch. Ein Minuspunkt sind die dürftigen Zoomstufen. In der Nahansicht ist die Übersicht gleich null, aber zu weit weg, um sich den eigenen Charakter vernünftig ansehen zu können. In der anderen Ansicht ist die Kamera zwar weit genug weg, lässt sich aber nicht weit genug kippen, so dass man immer von zu weit oben auf das Geschehen blickt, aber damit kann man leben. Im Coop-Modus oder Online ist die Zoomstufe fest, die Kamera kann dann nur noch gedreht, aber nicht mehr gekippt werden.
FAZIT:
Wer von Dungeon Siege III keinen nahtlosen Nachfolger des zweiten Teils erwartet und sich mit dem eigenartigen Online-Mehrspielermodus anfreunden kann, wird seine Lust nach Hack & Slay stillen können. Vor allem kommt DS3 mit keinen schwerwiegenden Bugs daher und mit nur wenigen kleinen Fehlern, die dem Spielspaß keinen Abbruch tun – ganz untypisch für jüngere Obsidian-Produktionen. Die Länge geht mit über 13 Stunden pro Durchgang in Ordnung, doch leider gibt es nach der Story nichts mehr zu tun, da man die Levelgrenze dann bereits erreicht hat und es keinen Sinn macht, nach stärkeren Items Ausschau zu halten. Der einzige Wiederspielwert besteht darin, mit einer anderen Klasse erneut durchzuspielen. Aber solange es dauert, wird man gut unterhalten.
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