1998 schuf BioWare mit Baldur’s Gate einen Meilenstein der RPG-Geschichte, der mit Erweiterungen und einer Fortsetzung bedacht wurde. Die später erschienene Neverwinter Nights-Serie konnte nie daran anknüpfen und auch die restlichen Bioware-RPGs nicht, obwohl sie allesamt gefeierte Hits waren. Wird Dragon Age: Origins nun diese Ehre zu teil und darf sich als geistiger Nachfolger des großen Baldur’s Gate bezeichnen?
Gegen die dunkle Brut!
Die Angst geht um im Lande Ferelden. Angeführt von einem Erzdämon erhebt sich die dunkle Brut nach langen Jahren des Schlafes erneut und fällt ins Land ein. Ich bin als frischgebackenes Mitglied der Grauen Wächter, deren einzige Aufgabe der Kampf gegen die dunkle Brut ist, unterwegs, um die Gefahr zu stoppen. Doch der Feind vor den Toren ist nicht genug, denn auch vermeintliche Verbündete wollen mir und den Wächtern mittels Verrat den Garaus machen. Nun muss ich einerseits meinen Ruf reinwaschen, indem ich den Verräter überführe und andererseits auch die dunkle Brut zurückschlagen.
Ein Spiel mit Charakter(en)
Wie bei Rollenspielen so üblich, steht am Anfang die Erschaffung des Alter Egos. Hier bietet Dragon Age größtenteils den Standard was Rassen, Attribute, Fähigkeiten und Zauber angeht. Auch das Aussehen darf in allen nur erdenklichen Details wie die Höhe der Wangenknochen, Kieferstellung und Augenabstand angepasst werden. Die gebotenen Optionen sind schon fast zu ausufernd und beschränken sich leider ausschließlich auf das Gesicht. Körperbau und Größe dürfen nicht bestimmt werden. Der Untertitel „Origins“ kommt jedoch nicht von ungefähr, denn je nach ausgesuchter Rasse und Klasse startet das Spiel eine von sechs Herkunftsgeschichten, die einen abgestimmten Einstieg in die Geschichte bieten. Nach der ungefähr einstündigen Einleitung laufen die Fäden allerdings wieder zusammen und die Storyquest beginnt. Die anderen Charaktere sind meine nach und nach verfügbaren zehn Gefährten. Ganz in der Tradition von Baldur’s Gate sind sie äußerst detailliert gestaltete Persönlichkeiten mit eigenen Überzeugungen, Moralvorstellungen und Agenden, die sich glücklicherweise nicht in Schubladen wie gut und böse stecken lassen, wie es dank des Dungeons &Dragons-Regelwerks bei Baldur’s Gate noch der Fall war. Das führt natürlich zu Reibereien untereinander, die auch wortstark im Feld ausgetragen werden und mir nicht selten ein Schmunzeln entlocken.
Illusionen von Freiheit
Nach kurzer Zeit verlasse ich den ersten Schauplatz und werde auf Ferelden losgelassen. Gleichzeitig verlässt mich auch das Gefühl, bis hierher wie auf Schienen gespielt zu haben. Egal, wie unhöflich ich war oder wie beleidigend meine Antworten waren, die Reaktion darauf war lediglich in der direkt folgenden Antwort spürbar – und Nachteile hatte ich dadurch auch nicht. Doch die Ernüchterung folgt prompt: Ich darf mir zwar aussuchen, in welcher Reihenfolge ich die Ziele ablaufe, aber besuchen muss ich sie alle und die Reihenfolge macht keinen Unterschied. Mehr Freiheit gibt es bei den Hauptquests, nämlich doppelt so viel: zwei Lösungswege statt einem. Ich werde vor die Wahl gestellt, in einer klar umrissenen Situation eine definitive Entscheidung zu treffen, deren Konsequenzen meist sehr vorhersehbar sind. Subtile Entscheidungen sind ebenso Mangelware wie weitreichende Konsequenzen, denn die enden meist mit dem Abschluss der Quest. Das alles ändert sich lediglich im Gespräch mit meinen Gefährten, um mir Sympathiepunkte zu ergattern. Je herzlicher die Stimmung, desto höher sind die Vorteile wie erhöhte Attribute und sogar Liebesbeziehungen sind möglich.
Das klingt soweit alles sehr beengend und nicht sehr durchdacht, doch im Spiel selbst fällt dies zwar auf, jedoch nicht so stark ins Gewicht, wie es sich anhört. BioWare versteht es, eine an sich nicht sensationelle Story ansprechend zu erzählen und das sogar ohne störende Längen. Die Storyhäppchen kommen in den richtigen Abständen, nie habe ich das Gefühl, mich abseits der Geschichte in Kleinigkeiten oder Nebenquests zu verlieren. Davon gibt es reichlich, doch im Gegensatz zur Hauptquest beschränken sich die Nebenaufgaben zu sehr auf Botengänge und Auftragsmorde. Und wenn dem mal nicht so ist, ärgere ich mich darüber, dass ich die Fähigkeiten meiner Gefährten nicht einsetzen darf, um die Quest zu lösen. Zum Beispiel benötige ich „Fortgeschrittenes Überleben“, um weiterzukommen. Mein Gefährte beherrscht Überleben meisterhaft, mein Hauptcharakter gar nicht. Wieso kann er mir nicht bei der Quest helfen? Ein Blick in die Welt Ferelden entschädigt dafür, denn auch diese Stärke von BioWare blieb erhalten. Ferelden fühlt sich wirklich lebendig an mit seiner Religion, seinen Mythen und Legenden, seinen Völkern und seiner Magie. Ein sich erweiternder Kodex mit über 250 Einträgen verrät dem Neugierigen jedes Detail, ohne die Leseunwilligen zu belästigen. Lediglich einige Quests verlangen ein wenig Lektüre, um sie zu lösen.
Der mit der KI tanzt
Im Kampf kontrolliere ich immer nur einen Charakter, die übrigen übernimmt die Künstliche Intelligenz (KI). Das Verhalten der Gefährten lässt sich mit einem den Gambits aus Final Fantasy XII ähnlichen System bestimmen, kann aber in vielen Situationen den Spieler nicht ersetzen. Obwohl die Bedingungen und Aktionen erschöpfend sind, steht ein Magier immer noch direkt neben dem Feind und lässt sich verdreschen. Und einen Schurken, der erst durch hinterhältige Angriffe richtig austeilt, kann die KI schon gar nicht spielen. Da ist viel Management gefragt und darauf sind das ansonsten gut funktionierende Kreismenü und das Kampfsystem nicht unbedingt ausgelegt, da sich zum Beispiel keine Aktionen aneinanderreihen lassen. Es geht alles schon flüssig von der Hand, aber zu oft verweigern die Figuren die eigenen Befehle. Wenn ich nach jedem Befehl jedes Mal zwei Sekunden die Zeit weiterlaufen lassen muss, nur um sicherzugehen, dass die Aktion auch ausgeführt wird, ist das der Taktik eher abträglich. Zudem rennt die KI auch mit Vorliebe in bereits entdeckte Fallen, weil sie den nächsten Gegner angreifen will. Dies lässt sich zwar abschalten, doch dann steht sie nur teilnahmslos da und dient den Fernkämpfern als Zielscheibe. Gerade in den höheren Schwierigkeitsgraden ist Frust vorprogrammiert. Wer es leichter angeht, wird mit dem Kampfsystem auch glücklich.
Im Land der Matsch-Texturen
Die einzige Stärke, die BioWare zwischenzeitlich wohl verlernt hat, ist die Grafik. Ein Großteil der Texturen ist zu niedrig aufgelöst und wird somit pixelig dargestellt, besonders ärgerlich ist das natürlich bei Rüstungen, die man dauernd in Großaufnahme bewundern darf. Aber auch die Umgebungstexturen sind teilweise nur hässlich zu nennen. Leider sind auch viele der Animationen nicht gelungen und es gibt generell zu wenige davon. Im Dialog setzen die Charaktere beispielsweise nur drei oder vier verschiedene Handgesten ein, die teilweise nicht mal zum Gesagten passen. Bei den Kampfanimationen sieht es nicht besser aus. Hier werden wenige Bewegungsabläufe abgespult, die manchmal von der Position zum Gegner abhängen, aber sie alle wiederholen sich viel zu oft, was den Kampf unnötig monoton aussehen lässt. Wenigstens hat jeder Kampfskill seine eigene Animation. Aber z.B. eine Animation, in der mit zwei Einhandwaffen gleichzeitig zugeschlagen wird, fehlt – was verwirrt, da man denkt, der entsprechende Buff würde nicht funktionieren. Eine begrenzte Auswahl gibt es leider auch bei den Waffen. Da man viel Zeit in Kämpfen verbringt und natürlich damit, seinem Charakter bessere Waffen zu suchen, enttäuscht die Auswahl an Totschlägern sowohl optisch wie auch zahlenmäßig. Jede Gattung bekommt ein paar Modelle spendiert, die sich nur von den Werten her ändern. Während Plattenrüstungen wenigstens noch aussehen als seien sie aus Metal, liegt über den meisten anderen Kleidern und Waffen ein eigenartiger Glanzeffekt, so dass es so aussieht, als sei Ferelden von einem Volk von Latex-Fetischisten bevölkert, die sich gerne mit Gummiwaffen besinnungslos prügeln. Lediglich das wirklich übertrieben herumspritzende Blut spricht dagegen. Vor allem die Blutspritzer an den Charakteren nach einem Kampf sind ein wenig zuviel des Guten und einfach nur deplatziert, aber das ist in den Optionen abschaltbar. Zu guter Letzt sind auch noch Ruckler und Einbrüche der Framerate sowohl bei Video- als auch Ingame-Sequenzen und größeren Kämpfen zu beobachten. Es wird niemals unspielbar, ist aber immer deutlich sichtbar und dauert teilweise recht lange, je nach dem wie schnell die Anzahl der Gegner sinkt und wie viele Effekte gerade auf dem Schlachtfeld toben. Das ist inakzeptabel und sollte bei der Grafik einfach nicht passieren. Als einen Silberstreif am Horizont sind die Effekte zu sehen, die weitaus besser gelungen sind als der Rest. Ob spitze Eiskristalle einen Gegner einfrieren, Blitze zucken oder ein Feuerball den Raum in ein Inferno verwandelt, die Zaubereffekte sind sehenswert und der Mächtigkeit des Spruches stets angemessen. Auch elementare Waffeneffekte wie Eis oder Feuer und aktivierte Buffs sind sehenswert und eindeutig unterscheidbar, was zusätzlich für Übersicht im Kampf sorgt.
Der Drache im Ohr
Der Sound ist der Grafik glücklicherweise überlegen. Die Musik hält sich oft dezent im Hintergrund oder ist manchmal stumm, aber zu jeder Zeit passend. Auch die Soundeffekte sind durchweg gelungen und geben dem Kampfgetümmel mehr Biss. Mit Abstand am besten gelungen ist die deutsche Übersetzung. Hier fallen keine peinlichen Stilblüten oder gestelzten Wörter auf, das Script wirkt wie aus einem Guss. Die Sprecher sind ebenfalls gut gewählt, wenn auch hier und da eine Nebenfigur nicht so gut klingt. Dass eine Übersetzung nicht lippensynchron mit den Figuren ist, lässt sich verschmerzen, aber zumindest sollte auf die Länge der Texte geachtet werden. Denn die ist das einzige Manko der Synchronisation. Es reißt mich einfach komplett aus der so sorgsam aufgebauten Atmosphäre, wenn mein Gegenüber die Lippen bewegt und steif gestikuliert, sein Text aber schon vor fünf Sekunden zu Ende war. Und das ist leider nicht die Ausnahme, sondern passiert andauernd.
FAZIT:
Dragon Age ist ein Paradebeispiel dafür, dass eine sehr gut erzählte Story mit stimmigen Charakteren sehr viel Spaß machen kann, auch wenn die Grafik weit unter den Erwartungen bleibt und die Technik gerne mal ins Stottern gerät. Die Interaktion mit den Figuren ist tiefgehend, der dicke Kodex erklärt mir die äußerst lebendige Welt und das Hauptquest ist sehr gut erdacht. Natürlich ärgere ich mich während der zwanzig bis fünfzig Stunden Spielzeit jedes Mal über Ruckler oder unansehnliche Texturen, aber das Geschehen auf dem Bildschirm entschädigt mich auch genauso jedes Mal dafür.
[ Review verfasst von Sanguinis ]
.ram’s Kommentar
Kollege Sangunis fängt das Spielgeschehen in seinem Review gut ein. „Dragon Age“ spielt sich flüssig und macht Spaß. Das die Entscheidungen letzten Endes wenig echte Konsequenzen haben, schmälert den Spielspaß nur minimal. Vielmehr störte mich die allgemein langweilig inszenierte Welt. Dunkle Brut? Tiefe Wege? Elfen, Ritter und Zwerge? Das hat man tausendmal schon in besserer Form gesehen. Auch die Geschichte konnte mich nur bedingt überzeugen. Vor allem das Ende empfand ich äußerst unbefreidigend und ohne „echten“ Höhepunkt. Dennoch fesselt das gut umgesetzte Spielprinzip. Ist man einmal in Ferelden angelangt, will man unbedingt noch das nächste Quest abschließen, bevor man aufhört und so geht es dann – im positiven Sinne – weiter und weiter. Somit ist „Dragon Age“ gut, aber nicht außergewöhnlich.
Pluspunkte:
- Sehr stimmige Welt
- Glaubhafte Charaktere als Gefährten
- Gut designte Hauptquest, erzählt im genau richtigen Tempo
Minuspunkte:
- Viele hässliche Texturen
- Entscheidungen mit wenig Konsequenzen
- Schwache KI