Nach Monaten der Verschiebung und einer schier unerträglich langen Wartezeit steht das neueste Epos aus dem Hause Rockstar Games endlich in den Verkaufsregalen und das, man sollte es kaum glauben, sogar in unzensierter Form. Wie sich das Monsterspiel, das ja im Vorfeld einer der am meisten erwarteten Titel für die PlayStation 3 war, in unserem knallharten und kompromisslosen Test geschlagen hat, erfahrt ihr auf den folgenden Zeilen.
Looking for someone special
Die Hintergrundgeschichte beginnt spannend – und weitaus authentischer als in den bisherigen „Grand Theft Auto“ Spielen. Man schlüpft in die Rolle von Niko Bellic, einem Flüchtling aus dem ehemaligen Ostblock. Im Hafen von Liberty City angekommen, wird er von seinem Cousin Roman abgeholt. Dieser hat Niko in vielen Briefen von der grenzenlosen Freiheit in den Staaten vorgeschwärmt. Leider etwas zu überschwänglich, wie sich kurz darauf herausstellt, denn Roman besitzt zwar sein eigenes kleines (Taxi)Unternehmen, ist aber trotzdem nur ein winziger Fisch in einem großen Becken voller Haie. Dementsprechend wird Niko schnell in zwielichtige Geschäfte verwickelt. Doch dahinter steckt mehr als die Aussicht auf das schnelle Geld. Vielmehr ist Niko auf der Suche nach einer ganz speziellen Person, einem Schatten aus seiner Vergangenheit mit dem er noch eine Rechnung zu begleichen hat. Bis zu diesem Punkt wirkt „GTA“ erwachsener und realistischer als jemals zu vor und die Story spornt regelrecht zum Weiterspielen an. Doch leider kann Rockstar Games diesen Level nicht halten. Der eigentliche Aufzieher der Story, die Suche, gerät zunehmend in den Hintergrund und das große Finale fällt dementsprechend eher enttäuschend aus. Natürlich ist das Spiel trotzdem interessant und niemand wird deswegen mit dem Spielen aufhören, aber dieser Aspekt hatte so viel Prämisse, dass es schon ein wenig schmerzt, dass die Entwickler diesen Weg nicht konsequent zu Ende gegangen sind. Aber es gibt auch Lichtblicke. Vereinzelte Entscheidungen haben erstmals direkte Auswirkungen auf den Verlauf der Geschichte, erhöhen den Wiederspielwert und bringen auch noch andere Vorteile mit sich - zum Beispiel zusätzliche Gangsterkumpanen oder ein neues Apartment.
Doch diese Sachen gibt es nicht umsonst. Wie im richtigen Leben muss man auch in „Grand Theft Auto IV“ Freundschaften schließen und diese vor allem pflegen. Nur wenn man seine Kumpels bei Laune hält (durch Bowlen, Trinkabende, Strip-Club usw.), kommt man auch in den Genuss diverser Gefälligkeiten (mobiler Waffenladen, kostenlose Taxis usw.). Aber auch die weiblichen Bekanntschaften dürfen nicht vernachlässigt werden. Führt man seine Herzensdame regelmäßig aus und kleidet sich nach ihren Wünschen, dann gibt’s auch mal Hilfe mit der Polizei oder einen Lebensanstieg via Telefon). Überhaupt ist das ganze Freunde-System recht clever ausgedacht und erfordert einiges an Aufmerksamkeit vom Spieler. Wer davon nix wissen will (man kann das Spiel auch ohne solche Hilfen beenden), kann sein Handy jederzeit auf Stumm schalten und somit SMS und Anrufen aus dem Weg gehen.
Kleiner Gangster, kleine Missionen
Die schlechte Nachricht vorweg: Dass Groß der Missionen wurde relativ unspektakulär inszeniert. Klar, das passt irgendwie auch zum realistischeren Anspruch des Spieles, aber vor allem Serienfans dürften damit hin und wieder auf die Probe gestellt werden. Man ist einfach Besseres gewöhnt und eine Vielzahl der Aufträge erscheinen geradezu langweilig normal. Gut ausgetüftelte Highlights wie der Banküberfall sind dagegen Mangelware. Meistens fallen die Missionen recht simpel aus (Fahre nach Ort B, bringe Typ D um) und verlangen nicht allzu viel Geschick vom Spieler. Wenigstens machen die Feuergefechte jetzt deutlich mehr Spaß, denn Niko lässt sich viel besser mit dem Joypad kontrollieren und kann per Knopfdruck hinter jede Deckung springen. Vergleiche mit „Uncharted“ sind nicht von der Hand zu weisen. Allerdings verlangt diese Spielart auch ein neues Vorgehen vom Spieler. Wer gerne mit zwei Waffen im Anschlag vorstürmt, wird neuerdings eher selten erfolgreich sein. Vorsichtigkeit und behutsames Nutzen der Deckungsmöglichkeiten sind das A und O bei den Auseinandersetzungen. Ebenfalls besser gestaltet sich nun das Polizeisystem. Rettende Sterne (über die man drüber fahren musste) gab es gestern, heutzutage muss man die Verfolger einfach nur abschütteln. Das funktioniert bei ein/zwei Sternchen gut, wird aber später manchmal haarig, denn Helikopter kann man nun einmal nicht ganz so einfach abhängen wie ein paar Polizeiautos. Da helfen nur noch Lackierwerkstätten und ein wenig Ausdauer. Aber Obacht, nur wer rechtzeitig bremst, bekommt auch die Kurve zum rettenden Tor des Lackierschuppens! Denn und das haben die Entwicklern nun wahrlich verbockt, ohne Handbremse fliegt man aus jeder Kurve raus. Die Autos schlittern viel zu stark und weit, als das man mit Vollgas über die Kreuzungen und durch den dichten Verkehr rauschen könnte. Insofern ist das Autofahren, das immer sehr viel Spaß gemacht hatte, in Teil IV kein Zuckerschlecken und ein wenig Übung ist schon erforderlich, um die optionalen Rennen zu gewinnen.
Nein, Nein, Nein - Das darfst du nicht!
„Grand Theft Auto IV“ bietet zwar jede Menge Spiel und verfügt auch über einen ordentlichen Umfang, aber den Level an Interaktivität und Gameplayfreiheit, den die Entwickler mit „San Andreas“ erreicht haben, sucht man hier vergebens. Beispiele gefällig? Man kann Niko keine neue Frisur oder Tattoos verpassen. Autos lassen sich auch nicht mehr aufrüsten und ausgefallene Sachen wie Jetpacks oder Fahrräder findet man auch nicht mehr. Die Option sein eigenes Business wie in „Vice City Stories“ zu etablieren, wird man auch in Teil 4 vermissen. Gleichzeitig wurde bei den Nebenaufträgen die Schere angesetzt: Amokläufe und Krankenwageneinsätze gehören dementsprechend der Vergangenheit an. Im Endeffekt macht sich diese Optionsarmut vor allem nach Abschluss der Geschichte bemerkbar. Denn so schön Liberty City auch aussehen mag, hat man das Ende gesehen, gibt es nicht mehr viel zu tun und der Spielspaß sinkt rapide ab.
Grand Theft Online
Zumindest wenn man über keine Internetanbindung verfügt. Während es in der Vergangenheit noch eine Qual war, mit Konsolen online zu gehen, hat sich das Blatt dank PlayStation Network und DSL 16000 gewendet. Dementsprechend ist es nicht sonderlich überraschend, dass auch „Grand Theft Auto IV“ auf den Onlinezug aufgesprungen ist. Erste Testläufe wurden ja bereits auf der PSP gemacht. Während die Mehrspielerpartien dort aber nur auf lokale Ad-Hoc Verbindungen beschränkt waren, bietet „Grand Theft Auto IV“ erstmals die Möglichkeit, auch via Internet zu spielen. Das Starten des Onlinemodus fällt glücklicherweise recht einfach und unkompliziert aus. Per Handy kann man entweder an einem schnellen Spiel teilnehmen, oder man erstellt sein eigenes Match. Während Ersteres den Spieler in eine beliebige Lobby hineinkatapultiert, kann man beim Zweiten selbst die Regeln bestimmen und diese fallen zahlreich aus: Der Onlinemodus beinhaltet nämlich nicht nur die ganze Stadt inklusive aller Menschen, sondern auch dutzende Waffen und Fahrzeuge, die man aus dem Singleplayermodus kennt. Damit man jedoch nicht den Überblick verliert, darf man sämtliche Optionen regulieren und eingrenzen. Zum Beispiel kann man festlegen, dass man nur in einem einzigen Stadtteil spielt, oder dass es keine Polizei gibt.
Ziel eines jeden Onlinespiels ist es, soviel Geld wie möglich zu ergaunern. Da schnöde Deathmatches aber auch schnell langweilen können, hat man in „GTA IV“ die Auswahl aus 14 (!) unterschiedlichen Spielarten. Erfreulich ist vor allem die Variation, die geboten wird. So gibt es neben simplen Autorennen auch ganze Missionen, wo man ähnlich dem Einzelspielermodus eine Aufgabe per Telefon zugewiesen bekommt und diese dann gemeinsam mit seinen Team-Kameraden erledigen muss. Dazu gehört unter anderem das Ausschalten eines Konkurrenten oder das Herumfahren von Prostituierten. Gern gesehen sind auch die Räuber und Gendarm Spiele, wo man entweder als Polizist oder Verbrecher in die Schlacht zieht. Aber erwartet keine 16 Nikos, die um die Wette ballern. Damit die Individualität nicht verloren geht, darf man sich vor Spielbeginn einen eigenen Charakter erstellen. Dazu stehen unzählige Kleidungsstücke und Accessoires zur Verfügung und weitere Utensilien lassen sich nach und nach frei schalten. Alles in allem ist der Multiplayermodus ein gelungenes Feature, das zwar nicht ganz den Tiefgang eines „Metal Gear Online“ oder „Call of Duty 4“ erreicht, aber trotzdem für zahlreiche unterhaltsame Spielstunden sorgen wird.
Kings of the Nighttime world
Grafisch weiß „Grand Theft Auto IV” durchaus zu gefallen und es gibt genügend Plätze, die den Spieler sogar beeindrucken. Stellt euch nur mal auf eine der Brücken und betrachtet die Skyline von Algonquin. Ein herrlicher Ausblick! Aber auch die Detailfülle, mit der die Welt ausstaffiert wurde, ist atemberaubend. Fängt es beispielsweise an zu regnen, holen Passanten ihre Regenschirme heraus oder halten Bücher über die Köpfe. Rempelt man dagegen einen Menschen an, der gerade einen Becher voller Kaffee in der Hand hält, lässt er diesen fallen und flucht lautstark und rast man in einem Auto mit Vollgas gegen einen Stahlpfeiler, wird Niko aus der Windschutzscheibe geschleudert. Realismus pur! Und das sind nur ein paar Beispiele der vielen grafischen Details im Spiel. Jeder Stadtteil besitzt zudem einen ganz eigenen Farbstil, der für einen individuellen Touch sorgt. Auch die Tageszeiten wurden realistisch eingefangen – zumindest alle bis auf die Nacht. Dort wird nämlich ein allgegenwärtiges Problem besonders sichtbar: Aliasing oder zu gut deutsch Treppchenbildung. Egal ob Autos, Häuserecken oder kleinere Objekte wie Zäune und Mülltonnen, alles flimmert/wabbert dank der unschönen Pixelkanten leicht. Komischerweise tritt dieses Phänomen aber nicht auf, wenn es regnet. Dann helfen Unschärfefilter das Bild sauber zu halten. Ein weiteres – „GTA“ typisches - Merkmal ist mit Sicherheit die inkonstante Framerate, mit der auch Teil 4 zu kämpfen hat. Zwar läuft das Spielgeschehen nun weitaus flüssiger als in den Vorgängern, aber eine stabile Bildrate wird man auch hier nicht finden. Schlimmer noch, offenbar bereitete das Spiel auf einigen PS3 Modellen ziemliche Probleme und zwei Updates waren von Nöten, bevor diese Sache aus der Welt geschafft wurde. Ärgerlich! Aber um nicht allzu negativ zu klingen, ein besonderes Lob verdient die spektakuläre Physik (dank Euphoria Engine), die das altbewährte Ragdoll System schon fast antik wirken lässt. Eine unglaubliche Menge an unterschiedlichen Animationen und Reaktionen werden nun physikalisch korrekt dargestellt. Hut ab, denn das unterstreicht den authentischen Aspekt des Spieles noch stärker. Ansonsten fällt natürlich auf, dass das Spielgeschehen nun deutlich realistischer aussieht. Der bekannte Comicstil der alten Titel ist komplett verschwunden und die Optik wirkt erwachsener und auch ein wenig düsterer. Aber das ist nicht unbedingt ein Minuspunkt, denn dadurch zieht der Grafikstil endlich mit dem Gameplayanspruch gleich.
Radio Shock
Die englische Sprachausgabe ist mal wieder äußerst gelungen und die deutsche Übersetzung steht der Originalversion in nichts nach. Zumindest wenn man sich damit zufrieden gibt, den englischen Sprechern zu lauschen und dabei die Untertitel mit liest. Denn und das sollte wieder einmal angesprochen werden: Wo bleibt eine deutsche Synchronisation? „Grand Theft Auto IV“ ist mit Sicherheit DER Blockbuster des Jahres und sollte deshalb auch komplett in deutscher Sprache erscheinen. Schließlich geht auch niemand ins Kino, um einen Film in englischer Sprache zu sehen (Ich weiß, Ausnahmen bestätigen die Regel, aber es geht ums Prinzip!). Der Soundtrack ist dagegen umfangreich wie eh und je und bietet reichlich Abwechslung. Von Rap, über Rock und Dance ist alles vertreten - sogar russische Musik. Dass bei der Hülle und Fülle nicht jeder Song gleichauf begeistern kann, darf nicht verwundern, Geschmäcker sind schließlich verschieden. Ich hatte jedenfalls keine Probleme mit der Musik und ging mir mal ein Musiksender auf die Nerven, zappte ich einfach weiter und irgendwann fand sich schon etwas, das zu meiner Stimmung passte. Die Soundeffekte lassen auch keine Wünsche offen und geizen nicht mit witzigen Details. Fahrt mal ein Fahrzeug in das Meer und schwimmt dann raus. Man hört noch das Radio, bis das Auto im Meer versinkt. Cool.
FAZIT:
Kommen wir gleich zur Frage aller Fragen: Hat sich das lange Warten auf „Grand Theft Auto IV“ gelohnt oder nicht? Zu erst einmal, ja es hat sich ausgezahlt! „GTA IV“ ist trotz einiger Macken ein gelungenes Videospiel, das in manchen Bereichen sogar neue Akzente setzen kann. Vor allem die authentische Nachbildung einer amerikanischen Großstadt ist ausgezeichnet. In keinem anderen Videospiel fühlte ich mich von der Umgebung so gefesselt wie in dem aktuellen Rockstar Titel. Aber auch in anderen Bereichen hat sich die Serie weiterentwickelt. Zum Beispiel wurde das veraltete Kampfsystem einer Generalüberholung unterzogen und ist nun benutzerfreundlicher und intuitiver zu bedienen. Ein weiteres Highlight dürfte zudem der umfangreiche Multiplayermodus sein, der sich nicht vor anderen Onlinegranaten zu verstecken braucht. Trotz der Lobhudelei gibt es aber auch reichlich Kritik am neuen „Grand Theft Auto“. Vor allem die wenigen Freiheiten beim Spielen (Accessoires, Fahrzeuge, Nebenmissionen) lassen Teil 4 neben einem Gameplayhit wie „San Andreas“ eher blass erscheinen und selbst das Missionsdesign zählt nicht gerade zu den Höhepunkten des vierten Teils. Zu guter Letzt nervt auch noch die instabile Framerate und das teils kräftige Aliasing. Wie soll man die streckenweise genialen Hintergründe genießen, wenn es immer wieder unschöne Ruckler gibt? Unterm Strich ist und bleibt Teil 4 zwar immer noch ein tolles Spiel, aber dem riesigen Vorab-Hype wird es dann doch nicht ganz gerecht.
[ Review verfasst von .ram ]
Pluspunkte:
- Liberty City atmet und lebt
- Gelungener Mehrspielermodus
- Erwachsener und authentischer als zuvor
Minuspunkte:
- Technische Probleme
- Viele Füller-Missionen
- Geschichte kann hohes Level vom Anfang nicht halten