Normalerweise haben wir Deutschen, wenn es um das Thema Videospiele geht, nichts zu lachen. Dank unseres „vorbildlichen“ Jugendschutzes erscheinen brutale Spiele wie The Warriors erst gar nicht bei uns, oder aber nur in zensierter Form (Mortal Kombat: Shaolin Monks, Bloodrayne 2). Doch dieses Mal hat es zur Abwechslung die Australier kalt erwischt. Dort unten sieht man nämlich Graffitis an Hauswänden und Straßenbahnen überhaupt nicht gern und die örtlichen Behörden fanden, dass Marc Eckos Getting Up diese „Schmierereien“ verherrlichen würde. Als Konsequenz davon, darf der Titel „Down Under“ nicht verkauft werden. Bei uns dagegen gab es dazu mal überraschenderweise keine kontroverse Diskussion. Aber können wir uns deswegen glücklich schätzen? Findet es einfach mit Hilfe unseres neuesten Testberichtes heraus.
Graffitis = Kunst?
Marc Eckos Getting Up lebt und atmet die Graffiti Kultur – zumindest möchten das uns die Designer vermitteln. Bevor ich mich jedoch selbst in die düsteren Hochhausschluchten von New Radius begebe, sollte ich mir vorher vielleicht noch ein paar Gedanken über das Thema Graffiti machen. Schließlich hängt viel Spielspaß von der persönlichen Einstellung zu den Wandmalereien ab. In meinen (!) Augen und das ist rein subjektiv, sind viele Graffitis durchaus mit herkömmlicher Kunst gleichzusetzen, schließlich erfordert es sehr viel Erfahrung, Können und ein Auge für das Wesentliche, um den eigenen Stil zu perfektionieren. Was mir allerdings weniger gefällt, sind die als Tags bezeichneten Krakel, die unifarben schnell überall hin gesprüht werden. Dazu braucht man kein Talent und cool sehen diese Schmierereien erst recht nicht aus. Insofern sitze ich ein wenig zwischen den Stühlen. Mal schauen, ob sich meine Meinung zu dem Thema nach dem Spiel noch ändern wird.
Willkommen in New Radius
In New Radius, einem urbanen Großstadtsprawl, hat die Stadtverwaltung den selbsternannten Straßenkünstlern jedenfalls den Kampf angesagt. Graffitisprüher werden gejagt und eingebuchtet - man will sogar mit neuen und teuren U-Bahnzügen erreichen, dass die Schmierfinken ihre Werke erst gar nicht mehr aufsprühen können. Zusätzlich zu diesen Maßnahmen wurde auch noch die CCK gebildet, eine Elite-Eingreiftruppe, die den Straßenjungs gehörigen Respekt einflössen soll. Trane, unseren Hauptprotagonisten, juckt das aber wenig, sein Ziel ist es, die Undergroundkultur wieder zu etablieren und ein paar hübsche Pieces an die Wände zu taggen. Dass sich daraus aber weit mehr entwickeln wird, hätte er anfangs nicht gedacht. In welche Richtung die Geschichte letztendlich verläuft, wird an dieser Stelle nicht verraten. Nur soviel sei gesagt, Tranes Abenteuer wird zu einem beklemmenden Actionfilm, der problemlos die nötige Motivation liefert, um das Spiel bis zum Ende durchzuspielen. Warum dennoch nur die wenigsten eben jenes Finale sehen werden, versuche ich in dem folgenden Absatz zu klären.
Tags & Pieces
Das eigentliche Gameplay lässt sich in Marc Eckos Getting Up in drei grobe Bereiche unterteilen. Den Großteil und sicherlich auch den Hauptaspekt des Spiels macht natürlich das Sprühen von Graffitis aus. Um diese jedoch an den ungewöhnlichsten Stellen anzubringen, muss Trane sehr viel klettern, balancieren und springen. Womit wir bei der zweiten wichtigen Zutat für das Gameplay wären, der Akrobatik. Dazu kommt noch, dass euch nicht nur andere Gangs und städtische Arbeiter auf den Pelz rücken, sondern auch die CCK, weswegen ein nicht zu unterschätzender Spielanteil den Prügeleinlagen gewidmet ist. Auf den folgenden Zeilen beschäftige ich mich intensiver mit den einzelnen Elementen und versuche aufzuschlüsseln, welche Aspekte gelungen sind und was den Entwicklern eher nicht geglückt ist.
Graffitis sprühen
Wie schon erwähnt, ist das Aufbringen von Graffitis und Plakaten der größte Stützpfeiler des Gameplays. Deswegen sollte die Wandbepinselung natürlich besonders viel Spaß machen. Das System hinter dem Sprühen ist dabei recht einfach gehalten, glücklicherweise aber auch halbwegs authentisch umgesetzt wurden. Damit ihr zu beginn eines Levels wisst, wo ihr sprühen sollt, werden alle wichtigen Graffitispots in einer Art Vorschau angezeigt. Diese Vorschau kann man später immer wieder aufrufen. Dadurch verliert man nicht den Überblick und kann seinen Weg in aller Ruhe planen. Seit ihr erst einmal an einem möglichen Sprühpunkt angelangt, fixiert ihr mit Hilfe der R1 Taste auf die vorgeschriebene Stelle und benutzt den rechten Analogstick zum Sprühen. Vorher könnt ihr euch natürlich noch die Größe und das Design des Graffitis aussuchen. Prinzipiell malt man jetzt eine Art Vorlage aus, wobei man den Stick allerdings nicht durchgehend bewegen kann, da der Druck der virtuellen Dose mit der Zeit absinkt. Somit müsst ihr immer wieder absetzen und die Dose schütteln, damit sich der Druck wieder auflädt. Da es Punkte unter anderem auf die Schnelligkeit gibt, sollte man beim Sprühen, gerade bei größeren Graffitis, taktisch vorgehen. Nicht zu verachten ist zudem die Tatsache, dass ihr vorsichtig sein müsst. Sprüht ihr nämlich zu lange auf eine Stelle, entsteht ein Farbklecks, der nicht nur das Piece ruiniert, sondern auch für Abzug bei der Bewertung sorgt. Hört sich soweit alles ziemlich cool an, wäre da nicht die hackelige Steuerung, welche die dazu nötige Präzision vermissen lässt. Oftmals ist es einfach zu schwer bzw. zu sehr vom Glück abhängig, ob ihr schnell und fehlerfrei eine Wand taggen könnt. Gerade Farbkleckse entstehen immer wieder ungewollt, ohne dass man darauf viel Einfluss gehabt hätte. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so schlimm, verhält es sich mit den Plakaten, die ihr später im Spiel großflächig an die Wände klebt. Richtig ärgerlich und zum „aus der Haut fahren“ war dennoch nur eine Stelle: Das Duell gegen Gabe, bei dem ihr schneller als euer Konkurrent großflächig eine Tunnelfront bearbeiten müsst.
Ein netter Aspekt am Rande ist das Black Book, das Trane immer bei sich trägt. In diesem Buch sind alle seine Graffitis und Tags verzeichnet. Vor jedem Level könnt ihr dadurch auswählen, was für Kunstwerke Trane im Spiel verwenden soll. Die Auswahl ist dabei natürlich begrenzt. Fotografiert ihr aber beispielsweise legendäre Wandgemälde, dann schaltet sich Bonusmaterial und zusätzliche Stile frei. Ab und an trefft ihr außerdem noch auf bekannte Graffitikünstler, die euch den einen oder anderen Tipp geben. Weiterhin werdet ihr auf euren Reisen allerlei Bonussachen unterwegs finden. Da wären zum Beispiel die versteckten Sprühflaschen, die den Druck und die Kapazität eurer virtuellen Spraydose erhöhen, aber auch neue Musik und Geheimsymbole gehören dazu. Zusätzlich schaltet ihr je nach Punktzahl bei einem Levelabschluss Charaktere und Arenen für den Zweispielermodus frei. Dort dürft ihr euch mit einem Freund um die Wette kloppen. Neben den wichtigen Graffitispots, kann man in New Radius zudem noch zahlreiche Challenges entdecken, bei denen es weitere Punkte zu kassieren gibt. Insgesamt trägt das zwar zur Abwechslung bei, aber ich bezweifle, dass es viele Spieler geben wird, die deswegen noch einmal in einen Level zurückkehren werden. Doch lest selbst...
BEAT me DOWN
Das zweite wichtige Element von Marc Eckos Getting Up sind die unzähligen Prügeleinlagen. Grundsätzlich zur Auflockerung und zum Erhöhen der Spannung gedacht, fangen die Kloppereien jedoch schnell zu nerven an. Auch hier liegt das vor allem an der unpräzisen und einfallslosen Steuerung. So steht euch gerade mal eine Taste für einen Kick und eine Taste für einen Schlag zur Verfügung. Das ist nicht viel und auf Dauer bieten die wenigen Moves dadurch nur unzureichend Abwechslung, vom fehlenden Anspruch ganz zu schweigen. Lange Kombinationen kann man dank der trägen Steuerung übrigens nie einsetzen und das permanente Ausweichen, um den blockenden Gegnern doch noch einen Schlag zu versetzen, zerrt an der Geduld des Spielers. Griffe lassen sich zudem nur ansetzen, wenn man beide Tasten zu gleich drückt – ein Ding der Unmöglichkeit in meinen Augen. Damit man dennoch eine Chance gegen die übermächtigen Gegner hat, lassen sich in der Umgebung zu findende Waffen, wie Baseballschläger, Knüppel und Mülltonnendeckel aufheben und einsetzen. Viel nutzen werden euch diese Gegenstände trotzdem nicht, da die Waffen schnell zerbrechen und die Schurken sehr viel (eher zu viel) einstecken können. Bei einer solch starken Gewichtung auf Schlägereien erwarte ich einfach ein besseres und durchdachteres Kampfsystem. Eines, das vor allem Spaß macht und nicht für unnötigen Frust sorgt. Von den drei Gameplayteilen ist der Beat`em Up Aspekt somit der am wenigsten gelungene Bestandteil des Spiels.
The Prince of New Radius
Den dritten Pfeiler des Gameplays bilden die vielen Klettereinlagen. Um wirklich berühmt zu werden, muss Trane eine ganze Reihe Graffitis sprühen, die an den unmöglichsten Stellen angebracht werden müssen. Was macht es schließlich für einen Sinn, wenn Trane die Hauswand von nebenan besprüht? Es müssen richtige abgefahrene Stellen, wie der Wasserturm von New Radius oder die Autobahnbrücken sein, erst dann wird Tranes Können auch von den Anderen anerkannt werden. Um an solche Plätze zu gelangen, muss Trane klettern, balancieren, hangeln und springen. Diese Passagen erinnern dabei stark an Prince of Persia von Ubi Soft, sind aber bei weitem nicht so gut spielbar. Die Steuerung ist wie beim Sprühen und Kämpfen auch hier für meinen Geschmack etwas zu ungenau und die schlechte Kameraführung macht euch öfters als euch lieb ist einen Strich durch die Rechnung. Schade, denn in Szene gesetzt sind die Kletterpartien nämlich richtig gut und bieten dank atemberaubender Stadtkulisse eine schöne Abwechslung zu den fantasyorientierten Actionspielen. Die Wege sind übrigens immer recht gut erkennbar und lediglich an einzelnen Stellen verbringt man etwas mehr Zeit mit dem Sondieren der Lage. Ansonsten erwarten euch auch noch ein paar Actioneinlagen auf einem Zug oder einer Seilbahn. Alles quasi kein Problem, wenn nicht die lästige Speicherpolitik wäre. Zum einen sind die Checkpunkte oftmals zu weit auseinander und zum anderen könnt ihr ein Spiel nur zwischen den Levels speichern. Das kann für Frust sorgen, insbesondere da man für einige Spielabschnitte mehrere Versuche brauch. Bereits gefundene Bonussachen muss man zudem erneut einsammeln. Des Weiteren hätte man sich die eine oder andere Schleicheinlage sparen können. Klar, so was gehört dazu, wenn man unauffällig anderer Leute Häuser beschmieren will, aber teilweise rutschen diese Passagen in puren Trial & Error ab. Sobald euch nämlich ein Gegner entdeckt, geht er gnadenlos auf euch los. Man hat dann zwar noch die Möglichkeit sich zu verstecken und zu warten, bis die Luft wieder rein ist, aber diese Chancen kann man nur selten wahrnehmen. Das liegt unter anderem auch an der rabiaten Vorgehensweise der CCK. Entdeckt euch ein Polizist beispielsweise auf einem Werbeschild oder an einer Häuserwand, dann wirft er mit Schlagstöcken um sich, bis ihr tot zu Boden fallt. Später dürft ihr euch auch noch mit Maschinengewehrfeuer und Elektroshocks abgeben. Überhaupt stecken die zahlreichen Gegner viel zu viel ein und sorgen dadurch für einen überzogen hohen Schwierigkeitsgrad. Da das Spiel ziemlich umfangreich ist, gibt es somit reichliche Gelegenheiten, bei denen Ottonormalspieler das Handtuch werfen kann. Das hätte man schlichtweg vermeiden können, wenn man den Schwierigkeitsgrad besser angepasst hätte.
Urbane Kultur
Den Entwicklern ist es hervorragend gelungen, die verfallenen und zwielichtigen Gebiete von New Radius einzufangen. Hinterhöfe, U-Bahn Stationen und verwinkelte Straßenzüge versprühen den Charme einer richtigen, gewissermaßen abgefuckten, Großstadt. Man merkt schlichtweg an jeder Ecke, mit wie viel Liebe zum Detail die Grafiker zu Werke gegangen sind. Trotzdem kann der Grafikstil nicht über die eher mittelmäßige Technik hinwegtäuschen. Auf mich vermittelte das Spielteilweise den Eindruck, als ob es bereits vor 4 Jahren erschienen wäre: Lange Ladezeiten, kleine Gebiete, Pixelkanten, ruckelnde Rendervideos, viele Clippingfehler und unsaubere Texturen, niedriger Polycount bei den Charakteren und unzureichende Sprachanimationen zeugen nicht gerade von einem technischen Meisterwerk. Dazu gesellen sich später auch noch Slowdowns und Ruckler, die sich aber glücklicherweise nicht zu stark auf das Spielgeschehen auswirken. Immerhin sind die Zwischensequenzen äußerst kinoreif inszeniert und sorgen für einen großen Pluspunkt bei der Atmosphäre. Hinsichtlich der Sprachausgabe hat sich ATARI ausnahmsweise einmal Mühe gegeben und das Spiel professionell vertont. Für die Hauptrolle (Trane) konnte man den bekannten deutschen Hip Hop Star Afrob verpflichten, aber auch die restlichen Sprecher wissen zu überzeugen. Allerdings könnte der Slang im Spiel nicht jedermanns Sache sein. Mich erinnerte die Ausdrucksweise und das Gehabe oftmals an halbstarke möchtegerncoole Kiddies vor einem Dönerladen. Aber gerade dieser Umstand sorgt auf der anderen Seite wiederum für „Authentizität“. Alternativ kann man das Spiel auch mit der hochwertigen englischen Sprachausgabe spielen, bei der sich amerikanische Rap und Filmstars die Klinke in die Hand geben. Was mir noch besonders gut gefallen hat, war der lizenzierte Soundtrack (viel Hip-Hop, Rap, Crossover, Elektronik), der wirklich perfekt ausgewählt wurde und das Spielgeschehen immer passend unterstreicht. Im Spiel selbst kann man zusätzliche Songs sammeln und dann im spielinternen I-Pod (Werbung ist ziemlich plakativ im Spiel eingesetzt) anhören.
FAZIT:
Was soll ich sagen. Die Idee und die Aufbereitung des Themas Graffiti und Jugendkultur weiß durchaus zu gefallen und kann auch über weite Teile überzeugen. Aber die vielen groben Schnitzer insbesondere bei der Steuerung und das fehlende Feintuning bei der Technik und dem Schwierigkeitsgrad lassen den Spielspaß immer wieder abflauen. Schade, denn dadurch versinkt das interessante und atmosphärische Action-Adventure im oberen Durchschnitt und verbaut sich selbst den Weg zur Genrespitze. Aufgeschlossene Spieler mit einem Faible für außergewöhnliche Spiele sollten dennoch einen Blick riskieren, schließlich bietet der Titel mal etwas anderes als den typischen Sci-Fi und Fantasy Einheitsbrei.
[ Review verfasst von .ram ]
PS: Auf eine seperate Multiplayerwertung haben wir verzichtet, da die Arenenkämpfe eher als Bonus gedacht sind.
Pluspunkte:
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Interessant und Spannend
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Toller Soundtrack
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Großer Erkundungsteil
Minuspunkte: