„Life is Strange“ von 2015 war zwar nicht perfekt, gehört aber auch noch fast 10 Jahre später zu den Videospielerlebnissen, die im Gedächtnis hängen geblieben sind. Die um Max Caulfield könnte man als Coming of Age Erzählung sehen, gewürzt mit reichlich Mystery und einer starken Verbeugung vor dem genialen Film Donnie Darko. Dazu passt auch der Grafikstil und der atmosphärische Soundtrack, sowie das lockere Gameplay. Über die ursprüngliche Episodenveröffentlichung kann man natürlich geteilter Meinung sein und auch über das Ende, das den Spieler sprichwörtlich vor eine schwierige Wahl stellt.
Es ist aber nicht so, dass die „Life is Strange“ Reihe in der Zwischenzeit keine neuen Ableger bekam. Im Gegenteil, das letzte Spiel „True Colors“ erschien vor einigen Jahren. Aber wie so oft, konnte keiner der „Nachfolger“ an den Charme des Originals anknüpfen. Vielleicht lag es auch daran, dass mit Deck Nine Games ein anderer Entwickler für die meisten Spiele zuständig war. Was auch immer der Grund war, mit „Life is Strange: Double Exposure“ kehrt man der Anthologie-Form den Rücken und veröffentlicht erstmals eine direkte Fortsetzung zum Original. Ob man die braucht, bleibt jedoch abzuwarten.
Neue Generation
Jahre sind seit den Ereignissen in Arcadia Bay vergangen. Max ist erwachsen geworden, viel herumgereist, konnte sich einen Namen als erfolgreiche Künstlerin machen und unterrichtet an der angesehenen Caldeon Kunst-Universität. Sie hat sich gut eingelebt und neue Freunde gewonnen, konnte aber die Erlebnisse mit Chloe und Arcadia Bay nicht wirklich vergessen. An dieser Stelle muss man sich bereits das erste Mal entscheiden: Welches Ende wählte man im Original? Einen Unterschied macht aber weder das eine noch das andere. Man wird den Eindruck nicht los, dass die Entwickler der ganzen Chloe-Geschichte so komplett aus dem Weg gehen wollten. Und man sieht auch gleich warum, denn Max hat mit Safiya Llewellyn-Fayyad (kurz Safi) eine neue beste Freundin gefunden. Die beiden unternehmen viel zusammen, sie verstehen sich, ihre Dynamik passt und man nimmt es den Beiden ab, dass sie richtig gute Freunde sind. Bis plötzlich etwas passiert.
Safi wird ermordet!
Max versucht sie zwar zu retten, dafür aktiviert sie ihre alten Kräfte und dreht die Zeit zurück. Aber stattdessen öffnet sie einen Weg in eine zweite, parallele, Zeitlinie. Hier ist Safi noch am Leben, doch auch in dieser Welt trachtet ihr jemand nach dem Tod.
Und so beginnt eine Geschichte, die sich aus Alltags-Problemen, Detektiv-Krimi, Verlustängsten und Trauer, Liebeleien, sowie dem Hin- und Herspringen zwischen den beiden Zeitlinien zusammensetzt. Insgesamt gilt es fünf Kapitel zu meistern, wobei nach Kapitel drei ein krasser Bruch erfolgt. Oder besser gesagt, die ganze Story geht den Bach runter. Zum einen wird das große Mysterium (Warum das alles passierte) eher beiläufig aufgeklärt und ist keinesfalls auch nur in irgendeiner Weise wirklich plausibel und nachvollziehbar. Und zum anderen schlittert Max dann immer wieder in Situationen, die wenig realistisch oder gar unangenehm ausfallen. Richtig enttäuschend fällt dann das Ende aus, dass ganz neue Facetten aufzeigt und verschiedene Entscheidungen äußerst fragwürdig erscheinen lässt. Ich möchte an dieser Stelle nicht zu viel verraten – aber Marvel Cinematic Universe ist ein passender Vergleich. Letztlich war ich geschockt, wie schnell und wie stark die Geschichte eine unaufhaltsame Talfahrt hinlegte. Von manchen Logikfehlern ganz zu schweigen. Wie war das mit dem Polizisten Aldermann? Aber die Krone setzt dann definitiv die Epilog-Szene auf! Schrecklich!
Queer
Bis man natürlich dahin kommt, führt man auf dem Uni-Gelände viele Gespräche, untersucht hunderte Dinge und lauscht dem stimmungsvollen Soundtrack. Auch hier muss man hin und wieder Entscheidungen treffen, die Konsequenzen nach sich ziehen. Nicht immer ist dabei klar, welche Art von Konsequenz. Zumal manches Gespräch extrem gekünstelt und wenig authentisch wirkt. Es gibt jedenfalls große Qualitätsschwankungen und umso länger sich das Spiel hinzieht, umso stärker treten diese hervor. Was auch ein wenig „strange“ wirkt, ist die Tatsache, dass gefühlt jeder zweite auf dem Campus LGBTQ+ ist. Als ob der Fokus der Reihe nur noch darauf liegt. Klar lassen sich auch hier Romanzen mit dem einen oder anderen Geschlecht anfangen, aber ein Großteil der NPCs wirkt einfach nur überzogen und gewollt anders.
Gameplay light
Als reinen Walking Simulator würde ich die Reihe nicht betiteln. Es gab schon immer mehr Interaktivität als bei ähnlichen, narrativen, Spielen. Aber richtige Puzzles oder Rätsel sucht man dennoch vergebens. Man wird die ganze Zeit über an die Hand genommen. Wenn man mal wirklich nicht weiterkommt, dann eigentlich nur, weil man irgendein Objekt noch nicht untersucht hat. Bedauerlich, denn durch die parallelen Dimensionen hätte man viele coole Sachen integrieren können. Die Betonung liegt auf „hätte“, denn am Ende lenkt das Spiel den Spieler immer in die richtige Zeitlinie. Dadurch verkommt das Wechselspiel jedoch zu einem reinen Gimmick. Übrigens durchschreitet man diese Zeitlinien an Hand von fixen Portalpunkten, die man an vielen Stellen in der Spielwelt findet. Damit man nicht den Überblick verliert, sieht man aber jederzeit, ob man sich gerade in der „Toten“ oder „Lebend“ Dimension befindet. Es existiert auch ein Tagebuch, welche die letzten Geschehnisse im Spielverlauf zusammenfasst. Ebenso führt Max Protokoll zu allen wichtigen Personen – so dass man sich selbst ein paar Gedanken zu möglichen Motiven machen kann. Obendrauf kommt noch das ganze Social Media Gedöns. Ab der Hälfte des Spiels habe ich das jedoch nicht mehr durchgelesen, es war einfach viel zu viel. Ansonsten kann man Polaroid-Fotos finden und eigene Fotos schießen. Auch wird man mit Trophäen belohnt, wenn man bestimmte Situationen erfolgreich meistert. Platin bekommt man allerdings nur, wenn man das Abenteuer mehrmals durchspielt und ich weiß nicht, ob und wie praktikabel das ist, vor allem nach diesem Ende. Minispiele oder aufgesetzte Schleicheinlagen gibt es dagegen nicht.
Hoch und Tief bei Grafik und Sound
Das visuelle Design würde ich als gelungen bezeichnen. Die Optik fällt nicht zu realistisch aus, wirkt aber auch nicht so comicartig wie in „Before the Storm“. Die Figuren wurden gut eingefangen und auch die winterliche Landschaft auf dem Unigelände versprüht eine gewisse Melancholie. Das Wechseln der Zeitlinien wurde ebenfalls gekonnt gelöst und sorgt für einen nahtlosen Übergang zwischen den Welten. Was mir auch ganz gut gefallen hat, war die Gesichtsmimik der Figuren. Zur Auswahl stehen übrigens zwei Anzeigemodi: Performance mit 60fps und Qualität mit 30fps. Letzteres sieht aber nicht wirklich besser aus, ruckelt dank der halben Framerate aber beträchtlich. PS5 Pro Support gibt es übrigens nicht, dafür kann man HDR auch bei Bedarf deaktivieren. Eher negativ fiel das Aliasing (vor allem bei den Umgebungen) auf. Der Sound verfügt dagegen über eine unvorteilhafte Abmischung. Die Sprachausgabe ist eindeutig viel zu laut! Die eigentlichen Sprecher (manche durchaus prominent) machen jedoch einen guten Job. Musikalisch bekommt man in gewohnter Weise einen tollen und umfangreichen Soundtrack geboten. Natürlich auch wieder mit vielen Chill-Momenten, in denen man sich von der Musik verzaubern lassen kann. Die ist übrigens eine nicht zu unterschätzende Konstante der ganzen „Life is Strange“ Reihe. Aber zum Schluss noch ein paar Worte zu Bugs und Fehlern: Die gibt es auch hier, wobei mal ein Dialog nicht deutsch wurde, oder alle Figuren nach dem Zeitlinienwechsel stocksteif in der Gegend standen - nichts Gravierendes, aber vermeidbar.
FAZIT:
Während das Abenteuer locker beginnt und sich dann stellenweise sogar in einen richtigen Krimi verwandelt, verbocken die beiden letzten Kapitel die komplette Geschichte. Wer kam denn auf diesen Stuss? Die Epilog-Sequenz untermauert zudem deutlich, dass die eingeschlagene Richtung mehr als fragwürdig ist und zumindest mir gar nicht zusagt. Schade drum, denn das Wiedersehen mit Max hätte wesentlich besser verlaufen können. Aber wie sich auch hier wieder rausstellt, bleibt das originale „Life is Strange“ noch immer das beste Spiel der ganzen Reihe.
[ Review verfasst von .ram ]
[ Gespielt auf einer PS5 Pro mit 4K HDR TV ]
PS: Die Katze ist nur als Bonus in der Ultimate Edition vorhanden (inkl. 2 Trophäen).
Pluspunkte:
Beginnt recht spannend…
Gute deutsche Sprachausgabe & klasse Soundtrack
Es ist unmöglich irgendwo hängen zu bleiben
Minuspunkte:
…und endet in einer Katastrophe (sprichwörtlich!)
Dialoge wirken oft gestelzt und wenig authentisch
Das Springen zwischen den Ziellinien ist letztlich nur ein Gimmick
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