Bioware hat es in den vergangenen Jahren echt nicht leicht gehabt. Allen voran der Release von Mass Effect: Andromeda hat den meisten Fans der bekannten Spieleschmiede klargemacht, dass die glorreichen Zeiten inzwischen vorbei sind. Und so ging die Angst um, dass Bioware bald das gleiche Schicksal ereignen könnte, wie zum Beispiel Pandemic, Bullfrog oder auch Westwood – und zwar die Schließung des Studios. Dementsprechend gilt der Release von Anthem als entscheidender Moment in der Geschichte des Studios. Anthem ist ein großer und teurer Online-Shooter, der als GaaS (Game as a Service) am Liebsten über Jahre hinweg Millionen von Spielern begeistern möchte. Bevor es dieses Ziel jedoch anstreben kann, muss erst mal überprüft werden, ob es überhaupt einen Kauf wert ist. Die Antwort findet ihr in den kommenden Zeilen.
Willkommen in der Welt von Anthem
Anthem beginnt seine Kampagne mit einem schicken Intro, wo einem zunächst einmal die Welt vorgestellt wird, die man betritt. Im Mittelpunkt des Ganzen steht die Hymne (eng.: Anthem) der Kreation, welche eine starke aber auch unberechenbare Kraft darstellt, und die Menschen selbst nach Hunderten von Jahren immer noch vor vielen Fragen stellt. Ein weiteres Mysterium sind die sogenannten Relikte, die ihre Kraft aus der Hymne der Kreation entziehen, und ebenfalls über eine geheimnisvolle Macht verfügen. Im instabilen Zustand können Relikte sogar ganze Landstreifen zerstören und verheerende Auswirkungen haben. Und im Rahmen dieser unberechenbaren und mysteriösen Welt, schlüpft man als Spieler in die Rolle der sogenannten Freelancer. Während sie früher noch gefeierte Helden im Kampf gegen das Böse waren, sind sie inzwischen nicht mehr als Söldner, die von einem Job zum nächsten fliegen. Was die Story an sich angeht, sollte man kein Meisterwerk erwarten. Vor allem in den ersten Stunden wird man mit vielen Begriffen und neuen Charakteren überhäuft. Ich möchte nicht sagen, dass man hier leicht den Überblick verliert, aber es ist schwer, sich in diese Geschichte hineinzuversetzen, wenn man ohne große Einführung in dieses Epos hineingeworfen wird. Jeder will was von einem, und man weiß nicht so richtig was Sache ist, ehe man nach und nach mehr mit den Charakteren interagiert. Dies geschieht unter anderem zwischen den jeweiligen Missionen, wo ihr euch stets in einer Destiny-ähnlichen Hub-Welt wiederfindet. Von dieser Welt aus geht man auf die jeweiligen Charaktere ein, startet Missionen oder besucht die Schmiede wo ihr euren Javelin-Anzug aufwerten könnt. Dennoch wurde ich mit Fort Tarsis, so der Name des Hubs, nie so wirklich warm. Der Ort ist recht überschaubar, und man läuft stets durch die selben Gänge, und trifft größtenteils auf die gleichen Charaktere. Und obwohl ich noch nicht beim Thema Technik angelangt bin, gibt es hier dennoch einen Punkt, der ebenfalls dazu beiträgt, dass man nur ungern von Ort zu Ort wechselt. Und zwar liegt das an den Ladezeiten, die immens lang sind. Egal ob man eine Mission beginnt, oder man nach Fort Taris zurückkehrt, oder einen Besuch in der Schmiede macht – die viel zu langen Ladezeiten sorgen dafür, dass ein flüssiges Erlebnis kaum zu Stande kommt.
Fliegen, Ballern, und was dann?
Aber genug zur Story und den Charakteren - Wie sieht es eigentlich mit dem Gameplay aus? Als Schauplatz stellt euch Bioware eine riesige Spielwelt zur Verfügung, die auf dem ersten Eindruck tatsächlich an Pandora aus Avatar erinnert, wie viele andere vor mir auch schon festgestellt haben. Statt vieler einzelner Level wie in Destiny, gibt es aber nur diese eine Welt. Sie mag zwar groß sein, aber was Vegetation und Umwelt angeht, kann man kritisch anmerken, dass sich die Landschaften untereinander doch sehr ähneln. Hier und da gibt es ein paar markante Sehenswürdigkeiten, wo man denkt: „Ja, hier war ich schon mal“, aber meistens fliegt man einfach von einem Waypoint zum Nächsten, ohne der Umgebung große Beachtung zu schenken. Das Fliegen selber ist übrigens sehr gelungen. Es hat jedoch einen Twist, der manchen etwas nerven könnte. Und zwar geht es um die Energieanzeige eures Gleiters. So kann man lediglich eine begrenzte Zeit durch die Gegend fliegen, es sei denn man verhindert das Überhitzen durch Ausstecher ins Wasser oder durch das Durchfliegen von Wasserfällen. Hat man gerade kein Wasser zur Hand, bleibt einem nichts Anderes übrig als zu Landen, und kurz abzuwarten. Ich kann verstehen, dass sich manche über dieses System beschweren, aber ich persönlich hatte kein Problem damit, weil ich es immer als Herausforderung empfand, die Umgebung zu meinen Gunsten auszunutzen, um möglichst lange zu fliegen.
Im Mittelpunkt des Spiels steht jedoch das Ballern. Und geballert wird hier reichlich. Die Kampagne, die man entweder alleine, mit Freunden oder mit drei beliebigen Online-Spielern bestreiten kann führt euch durch zahlreiche Missionen, wo man es sowohl mit Menschen als auch Monstern zu tun bekommt. Das Problem hierbei ist jedoch die mangelnde Variation beim Missionsdesign, da man viel zu oft die gleichen Ziele vorgeschrieben bekommt. Entweder geht es darum, einfach alle Gegner zu erledigen, oder man muss eine Position halten, während Gegner auf euch zu laufen, oder man muss Objekt A zu Objekt B bringen – Alles echte Videospiel-Hausmannskost, die keinem mehr vom Hocker reißt. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich die Waffen recht schwammig anfühlen, und kein richtiges Gewicht haben. Das Spiel selber kommt mit einer überschaubaren Anzahl an Waffensorten. Da es sich bei Anthem jedoch um einen Loot-Shooter handelt, geht es im Wesentlichen darum, so viele Gegner wie möglich umzubringen, um somit möglichst viel Loot, und hoffentlich auch neue stärkere Waffen zu erlangen. Nervig ist jedoch die Tatsache, dass man das Loot nicht sofort auswählen kann, sondern man erst warten muss, ehe man wieder in der Schmiede ist, was wie so oft bei Anthem mit langen Ladezeiten verbunden ist. Alles in allem stellt man jedoch schnell fest, dass Anthem oft nach dem gleichen Strickmuster abläuft, und das Genre definitiv nicht neu erfindet. Und ich muss zugeben, dass mich diese Inspirationslosigkeit auf Dauer etwas langweilte, und ich mir schlicht und einfach etwas mehr Abwechslung wünschte. Sei es im Gameplay oder in der Umgebung selber, die einfach oftmals zu eintönig aussieht. Bioware möchte am liebsten, dass man diesen Loop auf ewig weiter macht. Doch nach gut 30 Stunden war ich am Ende meiner Begeisterung angelangt. Wenn wenigstens die Gegnervarianten etwas unterschiedlicher sein könnten – aber auch hier fehlt es mir einfach an Vielfältigkeit. Ebenso störend ist der unberechenbare Schwierigkeitsgrad. Während man zum Beispiel eine Handvoll Missionen locker auf Schwer überwältigen kann, stellt einem das Spiel in unregelmäßigen Abständen vor gewaltigen Bossen, die selbst eure gesamte Truppe auf einmal ausradieren können. Und dann gibt es wieder unzählige Ladezeiten, ehe man wieder in den Kampf zurückkehrt. Alles in allem muss ich zugeben, dass mich Anthem anfangs zwar schon begeistert hat, diese Begeisterung aber nach und nach abnahm, was einfach an der fehlenden Kreativität lag. Sowohl beim Missionsdesign als auch bei der Story und den NPCs, deren Geschichte mich einfach nicht in den Bann zog, und ich die Dialoge im späteren Verlauf am Liebsten überspringen wollte.
Abschließend möchte ich noch auf die Javelins eingehen. Hierbei handelt es sich um eure Roboteranzüge, die je nach Klasse stets eigene Vor- und Nachteile haben. Was die Art der Anzüge angeht unterscheiden sie sich grob gesagt in Soldat, Magier, Tank und Ninja. Die einzelnen Javelins werden je nach Charakterlevel freigeschaltet. Ich persönlich hätte die Anzüge lieber von Anfang an gehabt, da ich im späteren Verlauf keine Lust mehr hatte, nochmal zu wechseln. Recht cool ist die Freiheit beim Designs des Anzugs, da ihr nach und nach Farben und Decals freischaltet, und durchaus ansehnliche Kreationen erschaffen könnt. Und was meinen Storm-Javelin (die Magier-Klasse) anging, fand ich die Steuerung sehr angenehm, und die Attacken sehr durchschlagsfähig, da ich sowohl auf Waffengewalt setzen konnte, als auch auf mächtige Elementarattacken, mit denen ich die Gegner zum Beispiel einfrieren konnte, ehe ich sie dann mit einem Nahkampfangriff-Combo zerstört habe.
Schatten auch auf fernen Planeten
Auf dem ersten Blick ist Anthem ein durchaus schönes Spiel. Die Skyboxes sehen fantastisch aus, und die Lichteffekte gehören mit zu den Besten auf der Konsole. Oft habe ich mich dabei ertappt, einfach mal stehen zu bleiben, und die Landschaft zu genießen. Die Vegetation mag zwar sehr einheitlich sein, aber schön ist sie dennoch. Das Problem ist, dass man sich irgendwann dran satt gesehen hat. Ebenso satt gesehen habe ich mich an den vielen Ladezeiten, die das Spielgeschehen unnötig in die Länge ziehen. Nervig ist es vor allem, dass man sogar innerhalb der Missionen auf Ladezeiten trifft, wenn man zum Beispiel den Waypoints nicht schnell genug folgt, und das Spiel einem selber zum vorderen Teil der Gruppe versetzt, anstatt mir einfach die Zeit zu geben, und hinterherzufliegen. Und auch die Framerate hat noch viel Luft nach oben. Viel zu oft kommt es zu Slowdowns (vor allem, wenn man unter Wasser geht) oder Rucklern (vor allem in Kämpfen). Es ist schade, dass man selbst auf der PS4 Pro noch mit solchen Problemen zu kämpfen hat. Was das allgemeine Art-Design angeht, hat mich Anthem etwas kalt gelassen. Ja, die Umgebungen sehen nett aus, aber repräsentieren auch nichts, was man nicht schon gesehen hat. Und auch die Kostüme der Charaktere sowie Fort Tarsis selber haben mich nicht vom Hocker gehauen. Recht gelungen sind jedoch die verschiedenen Javelins ausgefallen, die alle ein eigenes distinktes Design haben. Sehr cool ist auch die Möglichkeit, den Anzügen einen eigenen Anstrich zu geben. Finanziert wird das entweder durch die spielinterne Währung, die man sich in den Missionen erspielt, oder durch echtes Geld. Ein Punkt, wo es hingegen nichts zu bemängeln gibt, ist der Sound. Die Synchronsprecher liefern einen gelungenen Job ab, und der Soundtrack überzeugt mit einer Reihe an gelungen Tracks, die gut zum jeweiligen Geschehen passen. Aber auch kleinere Effekte, wie das Starten des Afterburners oder die allgemeinen Waffengeräuschen sorgen für ein rundum gelungenes Sound-Paket.
FAZIT:
In den ersten 15 bis 20 Stunden hatte ich eine gute Zeit mit Anthem. Das Rumfliegen hat Spaß gemacht, die Geschichte zeigte hier und da schon Potenzial und das Rumballern machte Spaß, weil man stets mit anderen Leuten gemeinsam das Abenteuer bestritt. Doch desto länger ich spielte, desto mehr verging die Lust bei mir. Die langen Ladezeiten, über die ich am Anfang noch hinwegsehen konnte, fielen immer nerviger aus, die Geschichte verlor an Dynamik, und die auftretenden Grafik-Bugs traten immer häufiger auf. Und da sitze ich nun – die Story ist zu Ende, abgeschlossen mit einem Twist, der schon ein wenig Lust auf mehr macht. Aber habe ich selber Lust, noch mehr Zeit in Anthem zu investieren? Es geht! Bioware hat bereits weitere Updates, und tiefgreifende Veränderungen in der Geschichte für die Zukunft versprochen, aber es bedarf mehr, um den Spieler bei Laune zu erhalten. Wichtig werden vor allem die unbedingt notwendigen Quality of Life-Verbesserungen in der Zukunft. Anthem ist bei Weitem nicht perfekt, aber Potential ist definitiv da. Schade nur, dass es (wie so oft in letzter Zeit bei großen Spielen) nicht von Anfang an zur Verfügung steht. Zum Vollpreis würde ich Anthem deswegen nicht empfehlen. Wer es jedoch in Zukunft zu einem akzeptablen Preis findet, und Bock hat mit seinen Freunden, die Welt von Anthem unsicher zu machen, wird definitiv nicht komplett enttäuscht.
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