Die Marke Need for Speed befindet sich in einer Identitätskrise. Nach dem soliden „Rivals“ folgte mit dem 2015er Reboot eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln. Das ging allerdings gründlich schief und nun orientiert man sich an Microsofts „Forza Horizon“ Reihe (gibt es leider nur auf Xbox und PC), die auf wundervolle Weise eine offene Spielwelt, schnelle Autos und spaßiges Gameplay in mittlerweile drei Spielen zu einem unterhaltsamen Cocktail vermischt. Frei nach dem Motto: Besser gut geklaut als schlecht erfunden, möchte „Need for Speed: Payback“ wieder oben mitmischen und zu alter Stärke zurückfinden. Ob das Experiment gelungen ist, erfahrt ihr in unserem neuesten Review.
Über Stock und Stein
Open World Need for Speed-Spiele gab es nun schon eine Menge. Nicht alle waren gut. „Most Wanted“ auf der PS2 war eine mäßige Xbox Portierung. „Carbon“ an Einfallslosigkeit kaum zu überbieten und „Undercover“ war einfach nur ein richtig schlechtes Rennspiel. Allerdings gab es auch gute Need for Speeds. „Underground 2“ war spitze. „Hot Pursuit 2“ machte Spaß und „Rivals“ bot zumindest solide Arcade-Action. Jetzt will man es also wieder wissen: In der Gegend von Fortune Valley schlüpft man in die Rolle von drei Fahrern (Tyler, Mac und Jess), die ein großes Ding abziehen wollen, um an High-Tech Equipment zu kommen. Das geht natürlich schief (und ja, den ganzen langweiligen Prolog muss man spielen) und die Crew zerbricht. Doch warum auch immer, ein paar Monate später greift sich Tyler zwischen den Schritt und fühlt so etwas wie Eier: Zeit für die Rückzahlung (im Englischen „Payback“).
Drift x Offroad x Drag x Street X Chase
Im Spiel wird zwischen fünf primären Rennkategorien unterschieden. Bei Drift-Events zählen Punkte, bei den Dragster-Rennen muss man perfekt schalten und das Nitro im richtigen Moment zünden und bei den Offroad bzw. Street Racing Ligen fährt man um den Sieg in Punkt zu Punkt oder Runden Rennen. Dann gibt es noch die Polizeiverfolgungs-Events mit Jess. Hier muss man den Cops entkommen, allerdings auf vorgegebenen Routen und manchmal muss man verschiedene Sachen in der Stadt abholen. Es existiert also genügend Abwechslung, zumal man für jede Kategorie ein entsprechendes Fahrzeug braucht. Daneben gibt es noch zahlreiche Herausforderungen (Blitzen, Speed-Runs, Drift-Runs, Sprünge) sowie diverse Sachen zum Einsammeln (Chips und zerstörbare Plakatwände). Und dann darf man noch eine Handvoll Wracks suchen, um diese aufzumöbeln und zu den ultimativen Flitzern zu tunen. Multiplayer-Rennen gibt es auch, diese finden aber nicht in der normalen offenen Spielwelt statt. Dafür darf man aber Rekorde via Autolog auch im Single-Player vergleichen. Zum krönenden Abschluss sind da noch die Story-Missionen. Die im Prinzip Elemente der großen Kategorien aufgreifen. Meist Polizei und / oder House-Schergen bieten und immer wieder durch stark geskriptete Events (z.B. Sprünge) den Spielfluss stören. Wie man sowas besser macht, bewies „Driver: San Francisco“ vor Jahren auf der PS3. Ansonsten eignet sich das Spiel aber zum entspannten rumcruisen, denn die Polizei ist quasi in der eigentlichen Spielwelt nicht präsent. Lediglich bei den optionalen Lootbox-Missionen darf man versuchen, den Gesetzeshütern – auch hier nur auf vorgegebenen Checkpoint-Routen – zu entkommen. Und letztendlich kann man noch die Rennteilnehmer der verschiedenen Crews herausfordern, um dann im Anschluss ihren Boss nackig zu machen. Zu tun gibt es also genug.
Heilige Mutter Gottes, diese Steuerung…
…treibt mich noch in den Wahnsinn! Ein Arcade-Rennspiel braucht eine knackige Lenkung und keine indirekte Badewannensteuerung. Wie schon im Vorgänger nimmt die Steuerung dem Spiel viel Wind aus den Segeln. Ich drücke den Stick in eine Richtung und eine gefühlte Minute später bewegt sich der Wagen dann endlich. Zwar kann man über das Live-Tuning Menü, die Sensitivität der Sticks erhöhen, doch wirklich glücklich wird man damit nicht. Dazu kommt noch das Auto-Driften! Bei hoher Geschwindigkeit muss man hart Einlenken, um einen Drift zu starten. Das funktioniert in etwa 50% der Fälle. Droht man aus der Kurve zu fliegen, hilft nur noch die Handbremse, dann läuft man jedoch Gefahr, die Kurve zu eng zu nehmen und dreht sich eventuell. Gefühlvoll bei hoher Geschwindigkeit die Bergpisten oder Canyons zu nehmen, ist hier ein Ding der Unmöglichkeit. Offroad sieht es auch nicht viel besser aus, die Jeeps haben weniger Grip, springen spektakulär, aber lassen sich schlecht um eben die Kurven bewegen. Und bei allem Übel, die Speed-Karten verbessern nicht etwa das Fahrverhalten. Nein, eher können sie dafür sorgen, dass sich das getunte Automobil danach noch schlechter lenken lässt.
Bezahlen sollst du Spieler und das auf immer und ewig
Wir haben nun also ein eher mittelprächtiges Rennspiel und doch kann es Publisher EA nicht lassen, nochmal nachzutreten. Wie? Mit einem Lootbox System, das tief im Gameplay verwurzelt ist und quasi nur darauf ausgelegt ist, den Spieler solange zu vergrämen, bis er mit richtigem Geld sich Cheats – ich meine natürlich – spielrelevante Vorteile (Ingame Geld, verbrauchbare Sachen wie Reifenqualm, Teile-Token und Speed-Karten) erkauft. Natürlich muss man kein echtes Geld in Lootboxen investieren, nur zieht sich dann das Gameplay hin wie Kaugummi und malträtiert den Spieler mit unendlichen Wiederholungen von Events. Denn für jedes gewonnene Rennen (zweite Plätze zählen nicht) bekommt ihr die Chance, eine Speed-Karte zu ziehen. Diese werten euer Auto in verschiedenen Kategorien auf und vergeben Boni auf Bremsen, Nitro usw. Solltet ihr eine schlechtere Karte ziehen (was durchaus passieren kann), dann könnt ihr diese Karte noch immer gegen ein Teile-Token eintauschen. Mit drei (!) Token dürft ihr dann an einem Glücksspielautomaten neue Speed-Karten gewinnen, die definitiv besser sind, als die, die ihr in den Rennen gewinnen, oder in den Shops mit Ingame Währung kaufen könnt. Die verschiedenen Events haben übrigens bestimmte Stufenanforderungen, die – bevor EA temporär mit einem Patch einlenkte – oftmals weitaus über dem Spielerauto lagen und man deshalb von vornherein bei Rennen kaum eine Chance hatte. Nur die Drift-Events sind allesamt sowas von einfach, dass man dort kein mega-getuntes Auto braucht. Nach dem letzten Update auf Version 1.04 bekommt man nun öfters und vor allem mehr Belohnungen, weswegen es nun einfacher ist, sich neue Autos zu kaufen bzw. Speed-Karten zu erwerben. Allerdings dürfte diese Maßnahme nur vorrübergehend sein, da EA zurzeit für eine ähnliche Anti-Spieler Politik in „Star Wars: Battlefront II“ öffentlich unter Beschuss steht. Stellt euch das einfach wie ein Doppel-XP Wochenende vor. Ein grundlegendes Problem beheben diese „Verbesserungen“ auch nicht. Für jedes Auto müsst ihr neue Speed-Karten erspielen bzw. kaufen. Ähnliche wie in „The Crew“ wird dadurch der Fuhrpark überschaubar gehalten, es sei denn, man grindet sich zu Tode. Das hat mit Spielspaß – S P A ß – genauso buchstabiert man das nämlich, nicht viel zu tun. Ironischer weise gibt es jetzt unendlich Stellplätze für die Wagen, sofern man alle Garagen gekauft hat.
Pop-In überall
Grafisch war der Vorgänger – zumindest in Teilen – ein echter Hingucker. Unter bestimmten Lichtbedingungen sah das Spiel sogar fast fotorealistisch aus. „Payback“ ist davon ein ganzes Stück entfernt, macht aber dennoch einen soliden Eindruck. Erst einmal weil die offene Spielwelt auch abseits der Straßen befahrbar ist und dann gibt es noch einen wirklich hübschen dynamischen Tag- und Nachtwechsel. Die malerischen Wüsten- bzw. Bergregionen, die klar von Las Vegas und Umgebung inspiriert sind, wirken ebenfalls glaubhaft. Das Geschwindigkeitsgefühl könnte dafür besser sein und die Bildqualität lässt ebenfalls ein wenig zu wünschen übrig. Zumindest auf der normalen PS4, auf der PS4 Pro gibt es eine marginal bessere Auflösung und weniger störende Pixelkanten. Die Framerate bleibt im Großen und Ganzen stabil bei 30 Bildern pro Sekunde. Lediglich wenn man als Staatsfeind Nummer 1 gejagt wird, gibt es schon mal heftige Ruckler und die Steuerung steigt teilweise aus. Am Auffälligsten ist jedoch das heftige Pop-In von unzähligen Details – vor allem auf der normalen PS4. Sogar in den kurzen Zwischensequenzen kommt die Engine nicht mit dem Streamen hinterher und lässt die Feinheiten erst spät ins Bild ploppen. Mit dem letzten Update wurde zwar auch hier nachgebessert, aber von einem Paradebeispiel technologischer Überlegenheit kann man nicht sprechen.
Meine Crew und High-Tech Tech oder so
„Payback“ verfügt wieder über eine Hintergrundgeschichte und auch spezifische Missionen, die dazu da sind, eben jene Story voranzutreiben. Ich weiß, was ihr jetzt denkt: Das kann nur in die Hose gehen und ja, ihr habt recht. Die zwei Seiten Skript (klar inspiriert von den letzten Fast & Furious Filmen) ergeben kaum Sinn, haben viele Logiklöcher und sind bestenfalls eine Ausrede für eine Geschichte. Unsere Protagonisten kommen dementsprechend äußerst flach rüber und lediglich Offroader Mac, ist ein sympathischer Typ, mit dem man auch mal ein Bier trinken gehen würde. Die deutsche Sprachausgabe ist übrigens deutlich besser als das englische Original, auch wenn hier ebenfalls die Dialoge an dümmlichen Sprüchen kaum zu toppen sind – beste RTL 2 Unterhaltung! Der Soundtrack setzt sich dagegen aus allerlei hippen Songs zusammen und hätte so auch in FIFA, NHL oder NBA auftauchen können. Ein paar nette Stücke und viel Durchschnitt. Die Idee mit einer Radiomoderatorin wird nur am Rande aufgegriffen und ist lediglich Teil der Geschichte. Der Sound wummert dagegen mit ordentlichem Bass aus den Boxen und die Soundabmischung kann auch als gelungen betrachtet werden.
FAZIT:
Wie schwer kann es sein, ein brauchbares Arcade-Rennspiel auf die Beine zu stellen? Insbesondere, wenn man über so viel Erfahrung in diesem Bereich verfügt? Sehr schwer! Denn was EA mit dem neuesten Need for Speed abliefert, ist gelinde gesagt eine Enttäuschung und hart formuliert eine Frechheit. Wo hin man sieht herrscht Einfallslosigkeit, die grottige Steuerung ist mittlerweile Standard, fehlende Spielbalance sorgt für Frust und die konzernweite Geldgier breitet sich im Spieldesign wie eine Seuche aus. Was bleibt ist ein durch und durch mittelmäßiges Rennspiel, dass durch die Lootbox Politik nicht empfehlenswert ist. Spart euch also euer Geld und eure Freizeit, denn „Payback“ dankt es euch in keiner Weise.
[ Review verfasst von .ram ]
[ Gespielt auf einer PlayStation 4 & PS4 Pro auf einem 1080p TV ]
Pluspunkte:
Große offene Spielwelt, viel zu tun
Typische Autoauswahl mit genügend Tuning-Funktionen
Story ist so dumm, das sie schon wieder gut… nee die ist und bleibt saudumm
Minuspunkte:
Pay 2 Win mittels Lootbox-System und Speed-Karten
Absolut grottige Steuerung, null Präzision
Grafik hat Pop-Up Probleme, keine Cockpit Perspektive
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