Nach der Charaktererschaffung im ersten Teil ist es endlich Zeit für ein wenig postapokalyptische Action! Willkommen also zum zweiten Teil des Review Tagebuchs zu Wasteland 2: Directors Cut.
"Born a man, died a ranger"
Diese Worte stehen auf dem notdürftig zusammengezimmerten Sarg von Ace, einem (jetzt) Ex-Ranger-Kollegen und alten Bekannten aus dem ersten Teil. In einem kurzen Video mit echten Schauspielern wird er zu Grabe getragen, während General Vargas, der Boss der Desert Rangers und ebenfalls Überlebender des Vorgängers, ein paar erhebende Worte spricht. Wenn man sich das Budget des Spiels ansieht, ist das Video sehr gelungen und passt gut in die Atmosphäre, ohne dabei billig, aufgesetzt oder lächerlich zu wirken. Davon darf sich das neue Need For Speed gerne mehr als nur eine Scheibe abschneiden. Danach geht es in Spielgrafik weiter und ich darf Vargas mit allerhand Fragen löchern - viele davon drehen sich um die Geschehnisse des ersten Teils, damit alle up to date sind, denn 1988 ist ja schon ein bisschen länger her...
Aber zurück zum verblichenen Ace. Er hat für Vargas einige Sendetürme in der Umgebung untersucht und dabei ins Gras gebissen. Wir haben als frische Rekruten, die sich noch beweisen müssen, die ehrenvolle Aufgabe, Aces Mörder zu finden UND uns auch noch um die Sendetürme zu kümmern. Erst dann dürfen wir die imposante Ranger Citadel, das Hauptquartier der Ranger, betreten und müssen nicht mehr mit der Krämerin vor der Tür handeln.
Zwischendurch folgen ein paar Tutorials über Kamera, Steuerung, Inventar und so weiter. Alles ziemlich Standard, wenn man noch das Interface von Fallout 1 und 2 vor Augen hat. Aber schnell fällt auf: Die Menüführung wurde vom PC einfach so übernommen und dann irgendwie auf die Buttons des Controllers gezwängt. Es sind zwar alle Funktionen zu erreichen und alles geht irgendwie, aber komfortabel geht anders. Teilweise ist schon ein wenig Arbeit an den Buttons nötig, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen. Da merkt man, dass InXile keine Konsolenerfahrung hat. An die sehr saubere Menüführung eines Dragon Age Inquisition kommt Wasteland 2 nicht mal ansatzweise heran. Das Dialogsystem hingegen geht flüssig von der Hand. In einem Fenster wird der Text angezeigt und darunter stehen alle verfügbaren Themen als Schlagworte aufgeführt. Bei allen Systemen dieser Art ist es manchmal unvermeidlich, dass man etwas Falsches sagt, weil das angezeigte Schlagwort etwas anderes suggerierte. Das war bei Heavy Rain so, das ist bei Fallout 4 so - aber hier ist alles anders, da die komplette Antwort angezeigt wird, wenn ich das Stichwort markiere. Spart zwar weniger Platz, ist aber eine vernünftige Lösung.
Aber genug gemeckert - auf in Arizonas Ödland. Nachdem ich ein paar andere Ranger kennengelernt und Aces Freundin Angela Deth rekrutiert habe, lerne ich die harte Realität des Wastelands kennen: Meine Reichweite wird beschränkt durch meine Wasservorräte. Es gibt immer mal wieder Oasen zum Auftanken, aber die wollen erst einmal entdeckt werden. Glücklicherweise ist der Sendemast, den sich Ace als letztes angeschaut hat, nicht weit weg. Bereits jetzt könnte ich die Welt frei erkunden, da durch die Gespräche bereits einige Orte auf meiner Karte eingezeichnet sind. Ob das immer eine so gut Idee ist, steht auf einem anderen Blatt, denn Radioaktivität ist in Wasteland 2 sehr viel gefährlicher als bei Fallout. In letzterem hat Verstrahlung irgendwann Auswirkungen auf meine Werte, sie bringt mich aber nicht so schnell um. Reise ich mit meinen Rangern durch verstrahlte Gebiete (unterteilt in die Stufen 1 bis 4), rasseln meine Lebenspunkte schnell und stetig in den Keller.
Aces Mörder: Der Sendemast
Wie gesagt, der Weg zum Mast ist nicht weit und auf der Reise habe ich nur einen Händler getroffen, dem ich mangels Schrott (das Pendant zu Fallouts Kronkorken) nichts abgekauft habe. Das nächste Mal könnte ich allerdings auch Gegnern begegnen. Bereits vor dem Sendemast begrüßen mich ein paar Banditen, die überraschenderweise erst fragen bevor sie schießen. Hier zeigen sich bereits die unterschiedlichen Ansätze zur Konfliktlösung. Ich kann sie natürlich aus dem Gespräch einfach angreifen und das Überraschungsmoment nutzen. Oder ich kann ihnen Geld als Wegzoll zahlen, damit sie mich in Ruhe lassen. Ich kann sie aber auch belabern und mit Logik verwirren - das erledigt der Skill "Smart Ass". Und solange ihr Boss über meine Worte nachdenkt, darf ich mich frei bewegen, was ich natürlich auch tue. Komischerweise ist es seinen Kumpels dabei egal, ob ich ungefragt ihr Kisten aufbreche und ausplündere. Oder ihre alarmgesicherten Türen lahmlege. Oder ihre vergrabenen Habseligkeiten ausbuddle.
Da es auf der Karte keine Questmarker gibt, muss ich den sichtbaren Spuren in der Spielwelt folgen, Blutspuren in diesem Fall. Diese führen mich irgendwann zu einem abgetrennten Roboterbein. Jetzt wird die Sache interessant. Die Spuren führen mich weiter in eine Höhle, wo ich nicht nur ein paar Sachen von Ace finde (inklusive einem Großteil seines Blutes, wie es aussieht), sondern auch seinen Mörder, einen hochentwickelten Roboter mit einem fehlenden Bein. Fix alles eingesammelt und zurück zur Ranger Citadel.
Ich gebe alles ab und kann bei dieser Quest vorerst nicht weitermachen, da ich die Citadel nicht betreten darf. Dort wird allerdings das Roboterbein untersucht. Also zurück zu meinem anderen Auftrag, nämlich die anderen beiden Sender zu untersuchen. Und hier erwartet mich jetzt die erste große Entscheidung im Spiel. Zeitgleich gehen im Ranger HQ zwei Notrufe ein, nämlich von genau den Orten, deren Sendemasten ich untersuchen soll (Zufall? Ich glaube nicht...). Ich habe die Wahl: Helfe ich zuerst der kleinen Siedlung Highpool, die die Umgebung mit Wasser versorgt oder doch lieber dem Ag Center, einer Forschungseinrichtung, die widerstandsfähigere Pflanzen und Tiere erforscht, um es den Bewohnern einfacher zu machen, sich vernünftig zu ernähren? Die Entscheidung fällt auf das Ag Center, weil es auch näher an meiner aktuellen Position liegt.
Der kleine Horrorladen: Das Ag Center
Es muss nicht immer braune Wüste sein: Vor der Tür des Ag Centers sieht es aus wie im Dschungel. Überall mutierte Riesenpflanzen, gigantische Feldfrüchte und leider auch riesige Insekten, denen wir das Licht ausknipsen müssen. Hier machte ich das erste Mal richtige Bekanntschaft mit dem Kampfsystem. Es ist rundenbasiert und funktioniert in bester Fallout-Tradition: Jeder Charakter hat Aktionspunkte, die er pro Runde ausgeben kann. Unterschiedliche Handlungen kosten unterschiedlich viele Aktionspunkte (AP) und wer hier optimiert, kann eine Menge Schaden aus seinen Charakteren herausbekommen, z.B. wenn eine Waffe gewählt wird, die so wenig AP pro Schuss kostet, dass man immer zweimal pro Runde schießen kann. Hinzu kommen noch ein paar andere AP-Fresser wie hinknien (Bonus auf Trefferchance), nachladen oder im Hinterhalt warten, was genauso funktioniert wie die Overwatch-Funktion in XCOM. Neu im Director's Cut sind die Precision Strikes: Im Tausch gegen eine niedrigere Trefferchance und weniger Schaden können einzelne Körperteile anvisiert werden, was zusätzliche Effekte auslöst, z.B. eine niedrigere Geschwindigkeit bei einem Beintreffer. Einen ordentlichen Bonus auf die Trefferquote gibt es hingegen, wenn der Schütze über seinem Ziel steht. Vor allem Sniper sollten dies immer versuchen, da es die Kämpfe drastisch verkürzt. Vor allem, wenn die Gegner Deckung suchen. Die gibt nämlich recht hohe Boni, so dass selbst gute Schützen es schwer haben. Dann heißt es entweder, die Deckung zu zerstören (was unter Umständen dauert oder ohne schweres Gerät unmöglich ist), den Gegner flankieren oder auf Granaten und andere Explosivwaffen mit Flächenschaden auszuweichen.
Ein weiteres wichtiges Detail sind die Feuerlinien. Meine Jungs sind clever genug, an den eigenen Kameraden vorbeizuschießen, wenn sie vor ihnen stehen. Geht allerdings ein Schuss komplett daneben, kann es sein, dass es die eigenen Leute erwischt, wenn sie daneben oder dahinter stehen. Das gilt natürlich ebenso für Deckungen und andere Gegner. So kann auch ein verfehlter Schuss noch nützlich sein. Vor allem Maschinenpistolen und andere Waffen mit Burst Fire oder Vollautomatik sind bei dicht stehenden Gegnergruppen nützlich.
So erkunde und schieße ich mich durch die verschiedenen Gewächshäuser des Ag Centers und versuche, nicht mit den Sporen in Kontakt zu kommen, die Gegner und Pflanzen großzügig verteilen. Ist das erstmal passiert, bleiben den Infizierten genau zwei Stunden Zeit, die Seuche wieder loszuwerden. Heilung gibt es allerdings erst im Zuge der Quest, so lange tickt also die Uhr in Echtzeit und hält nur an, wenn ich das Menü aufrufe. Im Inventar und in Kämpfen bleibt die Uhr nicht stehen. Nach Ablauf der Zeit verwandelt sich mein Ranger (genauso wie zahlreiche Wissenschaftler, die ich im Ag Center treffe) in einen mutierten Pflanzenzombie, der mich angreift. So kann Unachtsamkeit das eigene Team ordentlich dezimieren - trödeln ist also nicht drin. Und nach ungefähr eineinhalb Stunden ist das Ag Center geräumt, der Strom wieder da, das Lüftungssystem aktiviert und der Sendemast online.
Schwere Beute, stumme Leute
All die getöteten Gegner, die geknackten Tresore und ausgeplünderten Kisten lassen die Rucksäcke meiner Ranger immer schwerer werden. Die Tragkraft wir durch den eigenen Stärke-Wert bestimmt (und einen speziellen Perk gibt es ebenfalls), so dass sich der ein oder andere Punkt dort durchaus lohnt. Im Gegensatz zu Fallout 3 wiegen hier allerdings auch Munition und Med Packs etwas - und das summiert sich. Bei der Munition wird das Gewicht pro Kugel (!) errechnet und bei 50 Schuss oder mehr kommen schnell ein paar Pfund zusammen. Dazu kommt, dass auch der zum Verkauf bestimmte Schrott ("Junk") meistens ordentlich Gewicht hat, von Waffen ganz zu schweigen. Hier geht, genau wie beim Wasservorrat auf Reisen, Realität vor Komfort. Sehr komfortabel hingegen ist der Radius, in dem ich nach Kämpfen Beute aufsammle. Anstatt zu jeder Leiche einzeln zu gehen, werden alle im Radius nacheinander angezeigt, wo ich die Beute entweder von Hand auf meine Ranger verteilen kann oder ich überlasse dem Spiel die automatische Zuweisung. Dabei wird geschaut, wer welche Items benutzen kann: Med Packs landen so beim Heiler und die verschiedenen Munitionsarten bei denen, die die entsprechenden Waffen tragen.
Wenig komfortabel, aber wohl durch das begrenzte Budget bedingt, sind die größtenteils stummen Dialoge. Vertonte Gespräche gibt es nur bei wichtigen Personen und der Hauptquest. Und selbst dann sind selten alle Gesprächsoptionen eingesprochen, sondern nur die wichtigen. Natürlich kostet so etwas eine Menge Geld und Zeit, weshalb hier natürlich Fallout 4 klar die Nase vorn hat. Generell sollten Spieler nicht lesefaul sein, denn egal ob Landschaftsbeschreibungen, gefundene Dokumente oder Gespräche - zu lesen gibt es immer viel. Umso schwerer wiegt der Umstand, dass der Text auf Dauer zu klein ist. Obwohl die Größe im Optionsmenü einstellbar ist, dürfte die höchste Stufe den meisten noch zu klein sein. Das variiert je nach eigenem Abstand zum TV, aber obwohl ich etwas weniger als zwei Meter entfernt sitze, könnte der Text gerne größer sein.
Die Kehrseite meiner Entscheidung: Highpool
Im Ag Center ist wieder alles im Lot, aber was ist mit dem anderen Hilferuf aus Highpool? Da wollte ich natürlich auch noch hin, vielleicht lässt sich ja noch was retten. Nach einem kleinen Zwischenstop in der Ranger Citadel (Zeug verkaufen, aufrüsten, etc.), geht es also nach Highpool. Was sich in mehreren verzweifelten Funksprüchen angedeutet hat, die ich empfangen habe, während ich das Ag Center aufgeräumt habe, steht mir jetzt in aller Härte vor Augen: Highpool gibt es nicht mehr. Nur noch qualmende Ruinen und Leichenfledderer. Es ist das erste Mal, dass es so ist, wie es im Ladebildschirm steht: Egal, wie sehr man sich ins Zeug legt, manchmal gibt es kein Happy End.
Wie es sich mit den Konsequenzen leben lässt und ob ich Aces Mörder auf die Schliche komme, erfahrt ihr dann im dritten und letzten Teil.
[ Review verfasst von Sanguinis ]